Karaoke
Nachbar, der beim Fernsehen arbeitete und in der Sendung Der fremde Freund die Kabel aus- und einrollte, erzählte mir, er habe die Sängerin einmal persönlich kennen gelernt und sogar mit ihr in der Kantine fünf Wodka getrunken.
»Und?«, fragte ich ihn, »ist Amanda nun ein Mann oder eine Frau?«
»Amanda ist in Ordnung«, nickte mein Freund nachdenklich, wollte aber nicht in die Einzelheiten gehen.
Dreimal trat Amanda Lear im sowjetischen Fernsehen auf und nahm einmal sogar eine Schallplatte bei der einzigen Plattenfirma des Landes namens »Melodie« auf. Sie sang »Der blaue Tango« und »Blut und Honig«, danach verschwand sie für immer im weiten Westen, ohne noch einmal auf Wiedersehen zu sagen. Ihre Beziehung zum großen sowjetischen Volk war irgendwie gestört. Wir warteten geduldig.
Die Puhdys kamen auch weiterhin Jahr für Jahr. Sie fuhren nach Sibirien, bis zum pazifischen Ozean, verteilten Autogramme und gaben Interviews. Ihre Begegnungen mit dem Volk wurden sorgfältig in der regionalen Presse registriert: »Die Band Puhdys trifft sich mit den Komsomolzen der elften Sportschule aus der Bucht der Vorsehung«, hieß zum Beispiel die Überschrift in der Zeitschrift Musik aus der Taiga vom 11. November 1979. Die Komsomolzen aus der Bucht der Vorsehung fragten die Puhdys, wie lange sie schon singen würden, wie lange sie noch vorhätten zu singen und was sie früher gemacht hätten, bevor sie zu singen angefangen hatten. Sie seien Bäcker, Lehrer und Kachelleger gewesen, antworteten die Puhdys. Ob sie Amanda Lear kennen würden?, fragten die Komsomolzen. Nein, sagten die Puhdys verlegen, aber jetzt wären sie gerade dabei, die Musik für einen großen Film über die Liebe zu machen, denn die Liebe sei in ihrem musikalischen Werk schon immer ein zentrales Thema gewesen.
Dann tourte auch Karel Gott wieder durch das Land, der sich ebenfalls gerne auf Gespräche mit den Zuhörern einließ. Sie schenkten ihm Blumen und fragten, wie lange er schon als Sänger tätig sei, wie viel er im Jahr verdiene und ob er zufällig Amanda Lear kennen würde. Nein,
bedauerte der Sänger, aber er sei gerade dabei, ein neues Musikprogramm für das tschechische Fernsehen auf die Beine zu stellen, und seine ganze Freizeit widme er dem Kraftsport. Er würde den Komponisten Karel Svoboda sehr gut kennen, auch die Gruppe Puhdys wäre ihm bekannt, aber Amanda Lear kenne er leider nur vom Hörensagen.
Die Zuhörer und Zuhörerinnen von damals wurden immer älter, die ideologischen Barrieren lösten sich immer mehr auf: Paul McCartney durfte auf dem Roten Platz spielen, die Scorpions im Parteitagsgebäude, und neulich tanzte sogar Marilyn Manson vor dem Lenin-Mausoleum — gegen Vorkasse.
Doch die Faszination des fremden Freundes ist verflogen, all die Stars werden zwar gut empfangen, aber auch schnell wieder vergessen. Anders ist es mit ihr — Amanda Lear. Zu viele quälende Fragen hat sie am russischen Sternenhimmel hinterlassen. Hat sie uns wirklich geliebt oder das nur so gesagt? Warum ist sie dann so plötzlich verschwunden und hat sich nie zurückgemeldet? Und war sie nun, verdammt noch mal, ein Mann oder nicht? Wir kämmen uns die Haare und schauen zu den Sternen. Liebe Amanda, wenn du diese Zeilen liest, würdest du dich vielleicht bei uns melden? Wo bist du, fremder Freund? Was machst du? Was magst du?
Aber zurück zum Gitarrenunterricht. Eines Tages im Winter, als ich wie immer mit meiner Gitarre unterm Arm im Club »Medik« auftauchte, sah ich vor dem Eingang ein handgeschriebenes Plakat hängen: »Heute Abend Rockkonzert der Gruppe Rußländer«. Im Foyer saßen bereits einige merkwürdige langhaarige Gestalten und tranken Bier aus Flaschen. Sie sahen mich, einen kleinen Jungen mit einer großen Gitarre in der Hand, und lachten: »Guck mal, unsere Vorband ist auch schon da!« Die anderen Jungs aus dem Gitarrenkurs standen im Foyer mit unserem Lehrer zusammen. »Heute fällt der Unterricht aus«, sagte Lermon- tow, »die Russländer brauchen unseren Probenraum als Garderobe.« Es wäre heute sowieso nicht gegangen, meinte er, wegen der Lautstärke: »In ein paar Stunden wird hier die Hölle los sein.« Der Direktor des Clubs rauschte an uns vorbei und sah sehr besorgt aus. »Schaffen Sie
sofort die Kinder von hier weg«, riet er unserem Lehrer. »Heute ist der Eintritt für Minderjährige verboten.«
Die Menschen im Foyer wirkten angespannt, und im Club herrschte eine merkwürdige Stimmung, eine Mischung aus
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