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Karaoke

Titel: Karaoke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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billig«. Wahrscheinlich hatte der dafür zuständige Journalist einen falschen Tag erwischt.
    Auch die Russendisko landete in mehreren Reiseführern - unter »exotische Schauplätze Berlins«. Wir lasen diese Ratgeber mit Interesse, weil wir in ihnen stets etwas Neues über uns erfuhren. Mal wurde die Russendisko als »Ort zum Flirten und Kennenlernen - mit Frauenüberschuss« bezeichnet, mal als »berüchtigter Russentreff«. Wir lachten darüber. Bei der Russendisko konnte man höchstens jemanden unterm Tisch kennen lernen, wenn man an der richtigen Stelle umfiel. Selbst dann konnte man aber nie wissen und auch nicht herausfinden, ob die Person russisch, deutsch oder sonst was war, wegen des schlechten Lichts und der sehr lauten Musik.
    Der einzige Mensch, den man bei uns persönlich kennen lernen konnte, war unser Türsteher Konrad, dessen Aufgabe es war, die so genannten BBPs, also Besonders Betrunkene Personen, rauszuschmeißen. Viele Touristen, die zum ersten Mal da waren, dachten: Russendisko? Da muss ich Wodka trinken bis zum Abwinken, denn Ordnung muss sein. Der warme Wodka in einem überfüllten Raum tat ihnen nicht gut. Nach kurzer Zeit konnten sie nicht mehr aufrecht stehen, aber umfallen konnten sie auch nicht, aus Platzmangel. Also versuchten sie, sich mit den Händen oder sogar mit den Lippen an anderen Diskobesuchern festzuhalten. Konrads Aufgabe war es, solche Leute an die frische Luft zu tragen. Er leistete gute Arbeit - einige Monate lang. Dann aber entdeckte er Gott, trat einer religiösen Sekte bei und wurde radikaler Christ.
    »Konrad!«, riefen wir laut nach ihm. »Ein Betrunkener hat sich in die Garderobe eingeschleust und kotzt zwischen die Klamotten, schmeiß ihn bitte raus!«
    »Ich habe mit dem Mann bereits gesprochen«, antwortete Konrad seelenruhig. »Ich sehe keinen Grund, ihn rauszuschmeißen. Nur weil ein Mensch ein bisschen sabbert, darf man ihn nicht gleich verurteilen. Vor Jesus sind wir alle gleich.«
    Manchmal hatten seine Worte tatsächlich eine Wirkung: Betrunkene gingen freiwillig an die frische Luft, Nüchterne wollten sich noch schneller betrinken.
    Zweimal im Monat im Kaffee Burger aufzulegen war eigentlich mehr als genug. Nach jedem Tanzabend war ich zwei Tage lang verkatert und hatte ein merkwürdiges Piepsen in der linken Kopfhälfte, dem Teil des menschlichen Gehirns, der wahrscheinlich für Punkrock zuständig ist. Doch damit war die Sache nicht erledigt. Wir bekamen immer mehr Einladungen aus dem Ausland. Die unterschiedlichsten Veranstalter aus Boston, Rom, Prag, Zürich und Linz luden uns ein. Alle wollten eine Russendisko, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, was das ist. Wir konnten nicht immer Nein sagen, wir sagten oft sogar Ja und fuhren überallhin, mit hundert Stunden russischer Musik im Gepäck. Unser Russendiskokoffer sah aus wie eine Bombe, deswegen flogen in jedem Flughafen die Sicherheitsbeamten auf unser Gepäck wie Fliegen auf Scheiße oder Bären auf Honig. »Was ist denn das? Russendisko? Ai, ai...« Mein Kollege Jurij wusste aber inzwischen Bescheid und packte immer gleich alles aus, ohne auf ihre Aufforderung zu warten.
    Auch in vielen deutschen Städten legten wir Musik auf. Die irritierten Diskobesucher drängten zu uns auf die Bühne. »Habt ihr Iggy Pop? David Bowie? Red Hot Chili Peppers?« Junge Mädchen in Stuttgart fragten nach Marilyn Manson, alte Mädchen in Köln nach »99 Luftballons«.
    »Das ist Russendisko, also nur russische Musik!«, erklärten wir zum hundertsten Mal.
    »Alles klar«, sagten die Leute. »Und? Habt ihr nun Iggy Pop?«
    In Prag wollten betrunkene Serben eine serbische Hymne aufgelegt bekommen, in Bochum bestellten nüchterne Kroaten die kroatische. In Göppingen bekamen die lokalen Veranstalter, nachdem sie die halbe Stadt mit unseren Lenin-Plakaten beklebt hatten, ein Signal vom Ordnungsamt: Sie sollten die Lenins schleunigst wieder aus dem Stadtbild entfernen. In jeder zweiten Stadt wurden die Veranstalter von der Polizei angerufen, die ihre Hilfe anbieten wollte. »Russendisko? Aus Berlin? Wieso ladet ihr nur so was ein?«, wunderte sich ein Polizeisprecher in Hannover. »Neulich hatten wir hier doch schon eine Russendisko in der Tiefgarage: zwei Tote, sieben Verletzte.«
    Wir wollten aber partout, dass die osteuropäische Musik auch in Alteuropa die Menschen zum Tanzen bringt, und ließen nicht locker. Es funktionierte auch. Im Laufe der Jahre haben wir auf diese Art und Weise mehrere Literaturhäuser

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