Kardinal vor La Rochelle
mich allmählich selbst ungeduldig.
»Und wenn er doch einmal etwas vergißt«, setzte ich daher grausam hinzu, »hat kein Mensch das Recht, ihn daran zu erinnern.«
»Um Himmels willen!« sagte Nicolas. »Das kann nicht sein! Es wäre mein Tod!«
»Ach, Nicolas, nun weine bitte nicht! Ich sehe Hermes, den Götterboten, die Treppe vogelgleich herniederschweben und geradewegs
auf uns zu fliegen.«
»Hermes? Welcher Hermes? Ich sehe nur Perrette.«
»Ein Beweis, daß Hermes sich gelegentlich in eine Kammerjungfer verwandeln kann. Perrette, was bringst du?«
»Herr Graf«, sagte Perrette mit einem anmutigen Knicks, »Madame de Bazimont läßt Euch sowie dem Herrn Chevalier de Clérac
ausrichten, Ihr mögt aufs Zimmer von Mademoiselle de Foliange kommen.«
»Gütiger Gott!« sagte Nicolas und wurde so bleich, daß ich ihn in die Arme nahm, damit er nicht umsank.
***
Am vierundzwanzigsten April traf der König im Lager ein, und zu meiner ungeheuren Erleichterung hatte er sein Versprechen,
Nicolas und Mademoiselle de Foliange gleich nach seiner Rückkehr zu vermählen, nicht vergessen. Er hätte es auch sofort erfüllt,
wäre nicht die Schwierigkeit aufgetreten, ein passendes Kleid für diesen Anlaß zu finden, schließlich wimmelt es in einem
Soldatenlager nicht eben von Brautgewändern. Madame de Bazimont bot das ihre an, wohlerhalten in Duftkräutern und teurem Gedenken,
und Nicolas und ich verbissen uns das Lachen, weil wir dachten, daß die üppigen Formen der |245| guten Frau sich kaum zu der schlanken Gestalt der Braut schicken könnten. Die Anprobe ergab jedoch, daß Madame de Bazimont
vor dreißig Jahren nicht weniger anmutig gebaut war als unsere Schöne. Es bedurfte nur einiger kleiner Änderungen, die für
mein Gefühl höchstens zwei Tage in Anspruch nehmen durften, tatsächlich aber vier Tage dauerten, obwohl mehrere Kammerfrauen
emsig sticheln halfen. Dem armen Nicolas wurde die Zeit sehr lang, und verdrossen begriff er, daß der Bräutigam bei Hochzeitsvorbereitungen
keine größere Bedeutung hat als eine Drohne im Bienenkorb.
Ludwig aber machte alles wieder gut. Zu der Trauung lud er außer meinen Freunden, Toiras und Marschall von Schomberg, die
Kompanie Musketiere ein, der Nicolas im Prinzip bereits angehörte und der er nach dem Ende der Belagerung beitreten würde.
Auch Marschall von Bassompierre wurde vom König eingeladen, und zuerst sagte der Herr zu, entschuldigte sich aber im letzten
Moment wegen vorgeblich schlechten Befindens. Das betrübte mich, zeigte es doch, daß die diabolischen Reifröcke selbst in
der Entfernung ihre Macht über ihn nicht verloren.
Die Vermählung fand, wie beschlossen, in der romanischen Kirche von Surgères statt. Die Messe las der Domherr Fogacer. In
seiner Predigt, die unter anderen Verdiensten das der Kürze hatte, lobte er, nach der Ehrung des Königs, die Herzogin von
Rohan mit warmherzigen Worten dafür, daß sie beim Rochelaiser Stadtrat die Ausreise des Fräuleins durchgesetzt hatte.
Während der ganzen Zeremonie erging sich Madame de Bazimont in Tränen und verhaltenem Schluchzen, was mich in Anbetracht eines
so freudigen Ereignisses verwundert hätte, wenn Perrette mir nicht anvertraut hätte, daß sie mit Vorliebe Hochzeiten beiwohnte,
auch wenn sie die Personen wenig oder gar nicht kannte, nur weil sie dann jedesmal so schön weinen konnte.
Die Jungvermählten bezogen das Zimmer von Mademoiselle de Foliange, weil es größer und heller war als das von Nicolas, denn
es ging nach Süden. Was meinen Junker anging, so versah er seinen Dienst bei mir fortan nicht minder gewissenhaft, aber ohne
den früheren Schwung und Eifer, wie mir jedenfalls schien. Er redete und fragte auch viel weniger, die Hochzeit hatte ihn
zum Mann gemacht.
|246| Aus zwei Gründen blieb mir der dreißigste April im Gedächtnis. Der erste war, daß wir durch unsere Spione
intra muros
erfuhren, daß Jean Guiton zum Bürgermeister von La Rochelle gewählt worden war, ein ehemaliger Admiral der Stadt, ein derber
und zäher Mann, der nicht so leicht die Flagge strich und eher mit Mann und Maus unterging, als zu verhandeln.
Der zweite Grund stellte sich in Form eines versiegelten Briefes dar, den mir die Post an diesem Tag aushändigte. Er kam aus
Nantes und trug den Absender meiner Brüder Pierre und Olivier de Siorac. Beim Öffnen erkannte ich jedoch, daß sie nur die
Übermittler des Briefes waren. Pierre teilte mir in einem
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