Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
Friedensverhandlungen schöpfe, denn danach schrien die am schlimmsten hungernden Rochelaiser mittlerweile
     aus Leib und Seele. Außerdem vermutete ich, daß der Stadtrat derweise zwei Fliegen mit einer Klappe schlug: Auch ich sollte
     nicht sehen, wie furchtbar der Hunger schon unter den Einwohnern wütete.
    Und wirklich bekam ich von all den zum Skelett abgezehrten Armen, deren jammervollen Zustand unsere Zuträger dem Kardinal
     schilderten, keinen einzigen zu Gesicht. Die beiden Schöffen, die der Stadtrat zur Verhandlung über das Lösegeld entsandte,
     waren nicht gerade fett zu nennen, aber doch auch nicht mager, und sie brachten genug Mundfertigkeit und Ausdauer auf, die
     Forderungen des Stadtrats zu verfechten. Dennoch näherten wir uns der Einigung, als unsere Verhandlungen durch ein Ereignis
     unterbrochen wurden, das zwar vorhersehbar gewesen war, dessen Eintreten uns aber trotzdem überraschte.
    Am elften Mai, einem Donnerstag, als ich mich zum Tasdon-Tor |251| begab, um ein neuerliches und, wie ich hoffte, abschließendes Gespräch zu führen, dröhnten mir plötzlich die Ohren: Alle Glocken
     von La Rochelle begannen gleichzeitig zu läuten, als gälte es, ein glückliches Ereignis zu feiern. Dieser Freudenlärm in der
     hart geprüften Stadt verwunderte mich um so mehr, als er nach einer knappen Minute wieder aussetzte. Später erfuhr ich den
     Grund dafür: Die Glöckner waren vom Hunger zu sehr entkräftet.
    So beunruhigt ich mich auch fragte, was dieses so festliche und so rasch abgebrochene Geläute wohl zu bedeuten habe, setzte
     ich nichtsdestoweniger meinen Weg zum Tasdon-Tor fort. Und angelangt, hieß ich den prächtig in den Farben des Königs gekleideten
     Trommler, jene Weise anzustimmen, die beide Seiten zum Einlaß von Parlamentären vereinbart hatten. Doch bedurften die hohen
     Mauerzinnen keines solchen Aufrufs, im Nu starrten sie von Musketenläufen, die sämtlich auf uns zielten und uns sozusagen
     doppelt und dreifach zusammengeschossen hätten, wenn ihr Hauptmann Sanceaux den Befehl dazu gegeben hätte.
    »Monsieur!« schrie dieser größte Dummkopf und Wichtigtuer der Schöpfung, der meinen Titel doch mittlerweile kennen mußte,
     »macht ja, daß Ihr hier wegkommt! Aber schleunigst, Ihr Teufelsanbeter, wenn Euch nichts daran liegt, daß meine Musketiere
     Eure Wänster zu Klöppelspitze machen. Wir haben, Gottlob, nichts mehr mit Euch zu schaffen! Die englische Flotte ist da! Sie
     naht, sie kommt, jawohl! Und drischt Euren stolzen Deich mit ein paar Kanonenschlägen zusammen, so wie der Herr einst den
     Turm zu Babel zertrümmert hat! Und binnen nicht mal einer Woche seid Ihr Herren Papisten von hier mit eingezogenem Schwanz
     verschwunden!«
    Hierauf ertönte von den Wällen ein so bedrohliches Gegröle gegen uns, daß ich begriff, wie sehr es die hugenottischen Finger
     am Abzug der Musketen juckte und mit welcher Lust diese wackeren Leutchen, die sich schon als Sieger fühlten, uns zu Sündenböcken
     für sämtliche Katholiken erkoren hätten. Jede Schärfe, mit der ich die beleidigenden Reden zurückgewiesen hätte, so sah ich
     ein, konnte das Schlimmste auslösen. Dies war nicht der Moment, sich aufs hohe Roß zu schwingen, solche Provokationen beantwortete
     man sehr viel ratsamer, indem man gelinde Saiten anschlug.
    »Monsieur«, sagte ich in ruhigem und höflichem Ton, »ich |252| habe Eure Botschaft wohl vernommen und werde sie meinem König Wort für Wort übermitteln.«
    Höhnisches Gejohle erscholl hinter den Zinnen, doch was scherte es mich? Besser, davon bin ich überzeugt, hätte ich gar nicht
     antworten können. Die Vorstellung, daß Ludwig seine unverschämte Botschaft wortwörtlich aus meinem Mund vernehmen würde, erfüllte
     dieses Großmaul mit einem Triumphgefühl, das die Verlockung, mich abzuknallen, bei weitem überwog. Und ganz außer Rand und
     Band, brach er in schallendes Gelächter aus und machte mit der erhobenen Hand eine anzügliche Geste.
    »Übermittelt, Monsieur, übermittelt!« schrie er.
    Das Gelächter verdoppelte sich. Ich bedeutete dem Trommler aufzusitzen, wir schwenkten um und entfernten uns in gemächlichem
     Trab, unser Rückzug sollte beileibe nicht nach Flucht aussehen.
    »Herr Graf«, sagte Nicolas, der sich zu mir gesellte, sobald wir außer Reichweite der Musketen waren, »glaubt Ihr, daß die
     uns wirklich erschossen hätten?«
    »Bestimmt, wenn ich seine Unverschämtheit entsprechend beantwortet hätte.«
    »Aber das wäre

Weitere Kostenlose Bücher