Kardinal vor La Rochelle
glaubte ich, Richelieu würde seinen Plan aufgeben, denn die Chancen dafür hatten sich entschieden verringert. Dem war
nicht so. Mag sein, daß er verzweifelt versuchte, mit La Rochelle zu Rande zu kommen, um so schnell wie möglich Casale zu
Hilfe zu eilen, mag auch sein, daß er angesichts der immer häufigeren Krankheiten des Königs fürchtete, dieser könnte der
Belagerung gänzlich leid werden und sie aufheben.
Für mein Gefühl ließ der neue Plan des Kardinals nichts zu wünschen übrig. Er teilte die Sprengmeister in kleine Gruppen ein,
und wenn es ihnen gelänge, die Zugbrücke des Maubec-Tors zu erreichen und zu zerstören, sollten sofort die Wachen des Kardinals
vorrücken und danach zehntausend in Bereitschaft liegende Soldaten, die Richelieu selbst befehligen würde.
Unglücklicherweise verirrten sich die Sprengtrupps im Labyrinth der Pfade, liefen endlos in die Irre und kehrten kläglich
an ihren Ausgangspunkt zurück. Schon nahte der Morgen, und mit dem wiederkehrenden Tag war die Partie verloren. Der Befehl
zum Rückzug erging, und zehntausend Mann kehrten zurück in die Quartiere.
Am dreizehnten März unternahm Richelieu einen weiteren nächtlichen Versuch, diesmal gegen das Tasdon-Tor, das angeblich schwach
bewacht wurde, doch wurden unsere Soldaten entdeckt, im Nu starrten die Rochelaiser Zinnen von Musketenläufen, und eine heftige
Schießerei vertrieb unsere Truppen.
Am achten April versuchte es Richelieu erneut, wiederum bei Nacht, ließ Kanonen in Reichweite der Mauern desselben Forts vorrücken
und es gnadenlos beschießen. Doch richteten unsere Kugeln keinen großen Schaden an, sie schürften die gewaltigen Hausteine
nur, die mit Kalk und Sand felsenfest verbunden waren. Schnell erfolgte die Antwort der Rochelaiser Artillerie, und ebenso
schnell mußten wir unsere Kanonen in Sicherheit bringen, bevor sie zerstört wurden. Offenbar hatten |239| sich unsere wackeren Hugenotten besser mit Pulver und Kugeln versehen als mit Nahrungsmitteln.
Da die Franzosen es nicht lassen können, alles zu bekritteln, gab es im Lager viel Geschimpfe gegen diese Angriffe, nur waren
die Schimpfer dieselben, die sich vorher beklagt hatten, daß nichts unternommen werde. Trotz dieses Geredes aber war nun der
Beweis unwiderleglich erbracht: La Rochelle war nicht durch Angriffe zu bezwingen, sondern einzig durch Aushungern. Mit noch
größerem Eifer trieb Richelieu den Deichbau voran, kaufte weiterhin holländische Schiffe und bemannte sie mit Seeleuten, die
er aus der Bretagne und der Normandie kommen ließ, um eine Flotte zu schaffen, die es mit der englischen aufnehmen konnte.
Seine Spione hatten ihm gemeldet, daß die Engländer, obwohl sie auf der Insel Ré gescheitert waren, zu einer zweiten Expedition
rüsteten, um La Rochelle bei dieser nicht endenwollenden Belagerung zu unterstützen.
***
Ludwig hatte Paris, seinem Wort getreu, am dritten April 1628 verlassen, einundzwanzig Tage später traf er im Lager ein. Das
war keine besonders schnelle Reise, wenn man sie mit denen unserer Kuriere verglich. Der königliche Troß umfaßte jedoch –
außer den Ministern und den hohen Militärs – die Musketiere, die Schweizer Garden, die französischen Garden und einen Teil
des Hofes. Einen Teil sage ich, denn trotz ihrer Bitten hatte es der König unter dem Vorwand, daß im Lager Seuchen herrschten,
abgelehnt, die Königin und etliche Damen mitzunehmen. In Wahrheit wollte er es, zusätzlich zu den Eifersüchteleien der Marschälle,
nicht noch mit den Intrigen der diabolischen Reifröcke zu tun bekommen. Auf dieser Reise wand sich der Geleitzug aus rumpelnden
Karossen und staubbedeckten Reitern über die Straßen wie ein riesiger Wurm, den seine eigene Länge verlangsamte, ganz zu schweigen
davon, daß es auf den Etappen viel Zeit kostete, so viele Menschen unterzubringen und genügend Nahrungsmittel aufzutreiben,
um alle satt zu bekommen. Außerdem ging es mittlerweile auf Ostern, und Ludwig, der sehr fromm und in seinen Christenpflichten
sehr gewissenhaft war, verweilte drei Tage in Niort, um das Osterfest zu feiern und das Abendmahl einzunehmen.
|240| Seine Rückkehr ins Lager setzte all jenen das Herz wieder an den rechten Fleck, die der endlosen Belagerung so überdrüssig
geworden waren, daß sie sich ihr gern entzogen hätten, wäre dies nur ohne Ehrverlust durchzuführen gewesen. Um den Rochelaisern
klarzumachen, daß die Belagerung trotz unserer
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