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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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teure französische Lerche«, schrieb die Lady in ihrem Brief, »ist so schockierend, daß ich es gar nicht
     glauben konnte, als ich es erfuhr. Um sicherzugehen, daß die Rochelaiser Wort hielten, forderten unsere Unterhändler (aber
     ich bin überzeugt, die schändliche Idee stammte von Buckingham), forderten, sage ich, als Geiseln, die sogleich nach England
     verbracht werden sollten, eine gewisse Anzahl Kinder aus den besten Rochelaiser Familien.
    Finden Sie nicht, meine französische Lerche, daß dies einer Menschenfressergeschichte aus alten Zeiten gleicht? Die Rochelaiser
     waren so entsetzt, daß sie die unwürdige Forderung rundheraus ablehnten.
    Die zweite Forderung unserer werten Roßtäuscher gefiel ihnen ebensowenig: Die Stadt La Rochelle sollte den englischen Heeres-
     und Seekräften erlauben, sich im Notfall in ihren Hafen zu flüchten. Wer aber würde über diesen Notfall entscheiden? Und wer
     bestimmen, wann diese Truppen La Rochelle wieder verließen, fragten sich die Rochelaiser. Wäre es wirklich ein guter Handel,
     eine Herrschaft durch eine andere zu ersetzen?
    Die Rochelaiser lehnten auch diese zweite Forderung nicht nur ab, sie bestanden darauf, daß in dem Vertrag mit England ausdrücklich
     festgehalten werde, daß sie ›unter ihrem wahren und legitimen Gebieter verbleiben wollten‹, daß sie der Treue und Ergebenheit
     nicht abschwören wollten, welche sie dem König von Frankreich schuldeten, ›einem ausgezeichneten Fürsten, dessen Vorgehen
     von seltener Aufrichtigkeit geprägt‹ sei.
    Diese Formulierung, liebenswerte französische Lerche, mißfiel den englischen Unterhändlern entschieden. Sie schlossen daraus,
     daß die Rochelaiser Unterhändler die französische Lilie doch zu tief im Herzen trügen, als daß La Rochelle für England das
     werden könnte, wozu man in verflossenen Zeiten |249| Calais so wunderbar hatte machen können: eine englische Kolonie an Frankreichs Küste.
    Und plötzlich begrenzten unsere guten Engländer die versprochene Hilfe auf Nahrungsmittel, welche eine englische Flotte durch
     die königliche Blockade hindurch zu den Rochelaisern bringen solle, nämlich Getreide, Zwieback, Rinder, gepökeltes Schweinefleisch,
     Käse und Bier. Wobei es mich, nebenher bemerkt, kurios anmutet, Leuten Bier zu schicken, die so gute Weine haben.
    Diese Hilfslieferungen versprach Karl im Januar und verkündete zugleich, sie würden La Rochelle binnen sechs Wochen erreichen,
     das heißt, Mitte Februar. Aber, ach, liebste Lerche, wir haben jetzt Ende April, und Sie haben noch kein einziges englisches
     Segel am Horizont auftauchen sehen. Und wenn Sie mich nach dem Grund dieser Verspätung fragen, antworte ich schlicht: Wir
     Engländer haben einen großen Vorzug, wir sind hartnäckig. Wir haben aber auch einen großen Nachteil, wir sind langsam. Und
     weil unser großer Vorzug leider mit unserem großen Nachteil zusammenhängt, bessern wir uns nicht. Wir sind immer so felsenfest
     überzeugt, daß wir schon ausführen werden, was wir beschlossen haben, daß wir uns nie mit der Ausführung beeilen.
    Geliebte französische Lerche, hiermit sende ich Ihnen eine Million Küsse, aber nicht nur, weil ich Sie liebe, sondern auch,
     weil ich hier sonst keine Verwendung dafür habe, so überdrüssig und angewidert lebe ich angesichts der Mißstände in meinem
     unglücklichen Land.
    Lady Markby«

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    |250| ZEHNTES KAPITEL
    Am fünften Mai wurde der Marquis de Bressac, Hauptmann der französischen Garden, bei einem verwegenen Ausfall der Belagerten
     gefangengenommen, und unverzüglich forderte die Stadt für seine Freilassung ein Lösegeld. Da ich den Rochelaisern bereits
     bekannt war, seit sie mich zum Besuch bei der Herzogin von Rohan in ihre Mauern eingelassen hatten, beauftragte mich Seine
     Majestät, die Verhandlung mit den Belagerten zu führen. Denn verhandelt werden mußte, die geforderte Summe war derart übersteigert,
     daß Ludwig den Stadtrat ersuchen ließ, sich zu einer Mäßigung zu bequemen. Dies geschah denn auch, aber erst nach langen,
     zähflüssigen Palavern, die
intra muros
in einem kleinen Haus statthatten, in welchem man mich, sowie ich das Tasdon-Tor passiert hatte, gleichsam verschwinden ließ.
     Mein Junker und der königliche Trommler, der mich angekündigt hatte, mußten außerhalb warten.
    Unverkennbar hatte diese Eile, mich zu verstecken, ihren Grund: Man wollte verhindern, daß die Bevölkerung bei meinem Anblick
     die Hoffnung auf

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