Kardinal vor La Rochelle
sie gar nicht wie erwartet, wie verzweifelt
wäre dann mein armer Nicolas?
|242| In diesem Zweifel richtete ich einen fragenden Blick auf Madame de Bazimont, die wie stets hinter Mademoiselle de Foliange
stand und sie mit ihren liebevollsten Blicken umfing. Sie verstand meine stumme Frage, nickte bejahend und ermunterte mich
mit begieriger Miene fortzufahren.
»Seine Majestät«, sagte ich, »hat von Niort ein Eilschreiben an den Herrn Kardinal gesandt, um ihm anzukündigen, daß er in
wenigen Tagen hier im Lager eintreffen werde.«
»Gott sei’s gelobt!« rief Nicolas, und in seiner Freude wollte er vom Tisch aufspringen, hielt aber nach einem Blick zu mir
auf halbem Weg inne, um mir durch seinen Überschwang nicht zu mißfallen, und setzte sich wieder.
Was nun das Fräulein anging, so füllten sich ihre Augen mit Tränen, und mit belegter, schluchzender, kaum hörbarer Stimme
bat sie, sich zurückziehen zu dürfen, was ich ihr durch eine Gebärde gewährte. Tatsächlich erhob sie sich, eilte zur Treppe
und lief zu ihrem Zimmer hinauf, umgehend gefolgt von Madame de Bazimont, die mir im Fortgehen einen Blick zuwarf, der deutlich
besagte: Keine Bange, das hat nichts zu bedeuten!
»Was ist denn das?« fragte mich Nicolas so erschrocken, daß es mich schmerzte.
»Nichts, was für dich nicht ein sehr gutes Omen wäre, mein lieber Junge!«
»Zum Teufel, wenn ich dieses Benehmen verstehe!« sagte Nicolas, immer noch sehr betroffen. »Sie weint! Sie läuft vor mir weg!«
»Nicolas«, sagte ich, »sie läuft nicht vor dir weg. Sie läuft weg, Punktum.«
»Aber warum denn, und völlig aufgelöst in Tränen?«
»Sie weint vor Glück, Nicolas. Sie läuft weg, damit du sie nicht weinen siehst, vielleicht ja auch, damit die Tränen ihre
Schminke nicht verwischen.«
»Mein Gott«, sagte Nicolas, »wer denkt in einem solchen Augenblick an Schminke?«
»Eine Frau bestimmt. Erwarten wir nicht, daß die Frauen bei jeder Gelegenheit schön aussehen?«
Wenn ich es recht bedenke, war dieses Argument wohl nicht so schlagend, wie es mir erschien. Auf Nicolas machte es jedenfalls
keinen Eindruck. Mit meiner Erlaubnis erhob er sich |243| und marschierte auf und ab durch den Raum, wie toll geworden.
»Herr Graf«, sagte er, indem er vor mir stehenblieb, »meint Ihr, daß ich bei Mademoiselle de Foliange anklopfen und bitten
kann, sie zu sprechen?«
Ich spürte, wie ich rot wurde vor Zorn.
»Nicolas«, sagte ich, »bist du noch bei Troste? Ein Fräulein in ihrem Zimmer aufsuchen zu wollen, ohne daß sie es erbeten
oder erlaubt hat? Auf die Idee käme nicht mal ein Küchenbursche! Du würdest alles verderben! Ein so ungezogenes Verhalten
würde sie dir nie verzeihen.«
»Was soll ich dann tun, Herr Graf?«
»Nichts! Warten!«
»Warten!« sagte Nicolas, und die Stimme stockte ihm in der Kehle. »Worauf denn noch warten?«
»Jawohl, warten, solange bis Madame de Bazimont sie mit ihrem Glück ausgesöhnt hat.«
»Mit ihrem Glück aussöhnen!« rief Nicolas entrüstet. »Wirklich, der Kardinal hat recht, daß die Frauen ziemlich sonderbare
Tiere sind.«
»Nicolas, auch wenn das kein sehr christliches Wort ist, kann man es einem Kirchenmann vergeben, weil er dem
gentil sesso
entsagt hat. Aber das ist bei dir nicht der Fall, du hast diejenige zu ehren, die du liebst.«
»Ich weiß. Trotzdem, es war eine Frau, die die verbotene Frucht pflückte.«
»Doch nur, weil Adam sich vor Verlangen danach verzehrte, aber nicht zur Tat zu schreiten wagte. Eva handelte aus Liebe.«
»Wieso das? So hat man mich die Dinge nie gelehrt!«
»Mich auch nicht. Aber wer das große Herz der Frauen kennt, der kann es sich denken.«
»Ihr macht Euch über mich lustig, Herr Graf!«
»Durchaus nicht! Du solltest mir vielmehr dankbar sein, daß ich dich beim Warten belustige.«
»Es ist unerträglich, Herr Graf. Wie lange soll das noch dauern?«
»Ich habe es dir gesagt. So lange, bis Madame de Bazimont alle Aufregung besänftigt hat und deine Schöne sich die Augen mit
klarem Wasser gespült, sich frisch frisiert und geschminkt hat.«
|244| Die Hände auf dem Rücken verschränkt, die Stirn gesenkt, den Mund bitter verzogen, begann Nicolas wieder mit seinem Auf und
Ab durch den Raum. Plötzlich hielt er inne, wie von einem neuen Schlag ins Herz getroffen.
»Und wenn der König unsere Hochzeit vergessen hat?« sagte er.
»Der König vergißt ein Versprechen nicht, das er gegeben hat.«
Aber meine Geduld machte
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