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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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daß ich sie nicht kannte, obwohl ich in Saint-Jean-des-Sables doch in ihrem Hause wohnte,
     und ich tischte ihnen ungerührt die neueste Version der Geschichte auf.
    Die Nacht wird dem Hoffenden lang, und doch darf er des zufrieden sein, denn noch länger wird sie dem, der an seinem Leben
     oder seiner Liebe verzweifelt. Um zehn Uhr am nächsten Morgen hielt es mich nicht länger, ich schickte Nicolas, Madame de
     Brézolles folgendes Billett zu überbringen:
     
    »Madame,
    da ich dank der Freundlichkeit von Madame de Bazimont das unschätzbare Vorrecht genieße, in Eurer Abwesenheit und ohne Euch
     zu kennen, Gast in Eurem schönen Schloß zu Saint-Jean-des-Sables zu sein, wäre ich Euch sehr verbunden, wenn Ihr die Güte
     haben wolltet, mich zu empfangen, damit ich Euch persönlich die unendliche Dankbarkeit aussprechen kann, die ich Euch auf
     ewig für diese wunderbare Gastfreundschaft bewahren werde.
    Ich bin, Madame, Euer sehr ergebener und sehr gehorsamer Diener
    Graf von Orbieu«
     
    Sowie Nicolas pfeilgleich davongeschossen war, kam mir sein Ausbleiben lang und länger vor, obwohl es nur ganze zehn Minuten
     währte, wie der Grünschnabel zu seiner Rechtfertigung bemerkte, als ich ihn dafür schalt.
    |277| »Herr Graf«, berichtete er, »kaum daß ich eingelassen war, empfing mich ein Lakai, dem ich Namen und Stand nannte und bei
     dem ich den Majordomus zu sprechen verlangte. Bis dieser Edelmann erschien, verging jedoch eine Weile, Monsieur de Vignevieille
     ist, wie Ihr wißt, sehr schütter und gebrechlich und setzt nur langsam …«
    »Laß deine Beschreibungen!« rief ich. »Komm zur Sache!«
    »Das tue ich doch«, antwortete Nicolas mit einem so unschuldigen Lächeln, daß es ihm sofort die Himmelspforte geöffnet hätte.
     »Wie dem auch sei, Monsieur de Vignevieille jedenfalls tat, als ob er mich nicht kenne, und nahm das Billett mit marmornem
     Gesicht entgegen, um es seiner Herrin zu überbringen, aber in einem solchen Schneckengang, daß ich mich auf eine lange Wartezeit
     gefaßt machte. Dem war nicht so, Gott sei Dank! Die große, geschweifte Treppe herab kam leichtfüßig eine reizende Jungfer
     gesprungen, die ich einmal, wie es in der Bibel heißt, ›erkannt‹ hatte, die sich aber ebenfalls benahm, als ob sie mich nie
     gesehen hätte, so zahlreich sind in jenem Hause, Herr Graf, die artigen Schüler der nützlichen Wahrheit.«
    »Und was sagte die Jungfer?« fragte ich, zitternd vor Ungeduld.
    »Madame de Brézolles, Herr Graf, läßt es sich zur Ehre gereichen, Eure Bekanntschaft zu machen, und erwartet Euch um halb
     zwölf Uhr zum Mittagessen. Hingegen könnt Ihr Monsieur und Madame de La Luthumière heute nicht sehen, weil sie zur selben
     Stunde beim Gouverneur von Nantes eingeladen sind.«

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    |278| ELFTES KAPITEL
    Endlich war es soweit, das Haus von Madame de Brézolles aufzusuchen. Der Lakai öffnete so schnell, als hätte er hinter der
     Tür gewartet, und auch der taprige Monsieur de Vignevieille war gleich zur Stelle. Wie einen Fremden fragte er mich nach Namen
     und Stand, dann teilte er mir mit, weil die Frau Marquise heute ein wenig unpäßlich sei, erwarte sie mich zum Essen in der
     ersten Etage. Mein Junker hingegen möge ihm die Ehre erweisen, sein Mahl mit ihm im Erdgeschoß zu teilen. Vollendet höflich
     wie stets, verbarg Nicolas seine Enttäuschung. Obwohl er ein Ausbund an ehelicher Treue war und gewiß immer sein würde, hätte
     er lieber in weiblicher Gesellschaft, und sei es mit einer Kammerzofe, gespeist als mit dem verknöcherten Alten.
    Noch war Madame de Brézolles nicht erschienen, aber schon in der Sorgfalt und der fröhlichen und beschwingten Art, mit der
     sie in dem kleinen Kabinett den Tisch hatte decken lassen, war sie mir gegenwärtig. Diese Kunst verstand nur sie.
    Der Haushofmeister forderte mich auf, Platz zu nehmen, doch ich wollte nicht. Bewegt warf ich meine Blicke in die Runde auf
     Möbel und Zierat und sah, wie ein jegliches hier ihre Wahl und Anordnung verriet.
    Dann endlich kam sie, und nun gab es nur noch sie, so viel Wärme, Schönheit und Zärtlichkeit hielten zugleich mit ihr Einzug.
     Mechanisch tauschten wir Grüße und Reverenzen samt den geziemenden Worten, allein unsere Augen sagten einander, wie sehr dieses
     Wiedersehen nach so langer Trennung uns ergriff.
    Ich fand Madame de Brézolles aufgeblüht, üppiger die Brüste, die Taille geschwungener, und auf ihrem schönen Gesicht lag ein
     neuer Zug von tiefer, inniger

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