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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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›Monsieur‹, sagte ich, ›ebenso gibt es im Königreich an tausend Männer, welche die Siegel genauso
     gut bewahren könnten wie Ihr …«
    In dem Moment klopfte es. Auf das dröhnende: »Herein!« von Toiras erschien ein Hauptmann, grüßte und meldete dem Kommandeur,
     Marschall von Bassompierre wolle ihn unverzüglich sprechen.
    Toiras nahm Hals über Kopf von uns Abschied und sauste mit verhängten Zügeln davon.
    Ich war ganz froh, muß ich gestehen, daß ich mich zu der zweiten Abfuhr, die er dem Siegelbewahrer erteilt hatte, nicht äußern
     mußte. So gerechtfertigt ich die erste fand, so unpassend erschien mir diese, denn Marillac erfüllte seine hohen Ämter mit
     großem Talent und großer Redlichkeit, zuerst als Oberintendant der Finanzen und jetzt als Siegelbewahrer.
    Unglücklicherweise verführte ihn seine an sich hoch achtbare Frömmigkeit aber mehr und mehr zu einer pro-spanischen und pro-päpstlichen
     Politik, die sich von der des Königs und des Kardinals weit entfernte. Und weil Marillac anderen nicht nur übellaunig und
     geringschätzig begegnete (wie es die Bosheit gegen Toiras beweist), sondern auch felsenfest glaubte, seine Sicht der Dinge
     sei die allein richtige, weil er sie direkt von Gott zu haben meinte, entwickelte er sich, von den Umständen begünstigt, zu
     einem äußerst gefährlichen Widersacher Richelieus, den er zu ersetzen trachtete. In vollständiger Verkennung von Ludwigs Charakter
     ermutigte er schließlich die Königinmutter, den Kardinal zu »zerstören«, und das brachte ihn zu Fall, zusammen mit ihr. Aber
     von dieser dramatischen Affäre, einer regelrechten Palastrevolution, die, Gott sei Dank, scheiterte, erzähle ich eines Tages
     noch ausführlicher.
    |34| Auf unserer Rückkehr nach Saint-Jean-des-Sables war es nicht mehr so windig, der Regen hatte für eine Weile aufgehört, und
     weil die Straßen ruhiger waren als am Morgen, konnten Nicolas und ich nebeneinander reiten und ein paar Worte wechseln.
    »Herr Graf«, sagte Nicolas, »darf ich etwas fragen?«
    »Frag, Nicolas.«
    »Seine Majestät sagte heute morgen, er sei äußerst zufrieden mit Euch und werde Euch in Kürze Folgenreiches mitteilen.«
    »So sagte er.«
    »Dasselbe hat der König zu Monsieur de Toiras gesagt. Und Monsieur de Toiras verstand es als Versprechen eines Marschallamtes.
     Hatte er damit unrecht?«
    »Nein, nein, Nicolas.«
    »Herr Graf, wenn meine Fragen Euch lästig sind, schweige ich.«
    »Fahr fort, Nicolas.«
    »Auch wenn der König an Monsieur de Toiras und Euch dieselben Worte richtete, bedeuten sie, denke ich, nicht dasselbe.«
    »Gewiß. Was sollte ich mit einem Marschallstab?«
    »Hingegen könnte es sein, daß der König Eure Grafschaft Orbieu zum Fürstentum erhebt.«
    »Fahr fort, Nicolas.«
    »Mit Eurer Erlaubnis, Herr Graf. Als der König Euch Folgenreiches versprach, leuchtete Euer Gesicht vor Freude. Wenig später,
     nachdem Ihr Seine Majestät verlassen hattet, trübte es sich. Und das Gesicht von Monsieur de Toiras war mehr als betrübt.
     Es glühte vor Zorn, der sich in heftigen Klagen entäußerte.«
    »Ich verstehe nicht, was deine Frage ist?«
    »Nun, Herr Graf, was Euch betrifft, wieso ein trauriges Gesicht bei einer guten Nachricht?«
    »Hm, wenn du es wissen willst: Ich hätte mir gewünscht, daß Ankündigung und Folgen zusammentreffen.«
    »Ihr meint, Seine Majestät könnte sein Versprechen nicht einhalten?«
    »Nein, nein. Aber aufschieben.«
    »Warum?«
    »Das ist ein Geheimnis.«
    |35| »Herr Graf, Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß ich jedes Eurer Worte für mich behalte.«
    »Ich weiß, ich habe dich mehrmals auf die Probe gestellt. Nun, die Wahrheit, mein Sohn, ist die: Ob der König seine Diener
     strafen oder belohnen will – es macht ihm Freude, sie zu
tantalisieren

    »Was bedeutet das?«
    »Das Wort ist von dem Namen eines gewissen Tantalos abgeleitet, von dem du sicherlich gehört hast.«
    »Ich fürchte, nein, Herr Graf«, sagte Nicolas errötend.
    »Nicolas, wo sind die guten Lektionen deiner jesuitischen Lehrer hin? Tantalos war ein griechischer König, kein
erfreulicher
Bursche, offen gesagt. Zur Strafe schickte Zeus ihn in den Hades, wo er bis zum Kinn in einem klaren See stehen mußte, unter
     früchtebeladenen Bäumen. Keine so schlimme Folter, wirst du sagen. Ja, aber jedesmal, wenn Tantalos trinken wollte, entschwand
     das Wasser vor seinem Mund, und jedesmal, wenn er essen wollte, entzogen sich die Früchte seinen

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