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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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und wird
     sich weigern, neben ihm her zu traben. So erreiche ich La Sauzaie nie!«
    Er hatte recht. Seit Nicolas den Ungarn ritt, war an ein Nebeneinander unserer Pferde nicht mehr zu denken. Und wenn er es
     auch verbergen wollte, tat es ihm sichtlich wohl, mich nach meiner Bemerkung über seine Tränen eines Irrtums zu überführen.
     Ich glaube, man sollte seinen Untergebenen ihre kleinen Rechthabereien im Alltag nicht verübeln. Sie entschädigen sie für
     ihre untergeordnete Stellung.
    »Mach es, wie du willst, Nicolas«, sagte ich. »Die Hauptsache ist, meine Accla wartet im Hof von La Sauzaie, wenn ich sie
     brauche.«
    »Monseigneur«, sagte Hörner, der in seiner Schlichtheit die Untertöne meines kleinen Schlagabtausches mit Nicolas sicherlich
     nicht bemerkt hatte, »ich könnte doch eine Stute nehmen und Eure Accla nach La Sauzaie führen, wenn der Herr Chevalier mir
     den Weg zeigen würde.«
    »Gut, machen wir es so«, sagte ich und bestieg die Karosse.
    ***
    In La Sauzaie führte mich der Türsteher sogleich in den Raum, in dem die vier Sekretäre des Kardinals ihrer fast unaufhörlichen
     Arbeit nachgingen. Ich bedeutete ihnen, nicht aufzustehen, sie taten es trotzdem, und mit tiefen Verneigungen. Dann geleitete
     mich Charpentier in das angrenzende Kabinett, wo |339| der Kardinal saß. Ich überreichte ihm den Bericht, den ich nach den Erzählungen von Sir Francis Kirby angefertigt hatte. Er
     las ihn sehr aufmerksam.
    »Die Unglücklichen sind am Ende«, sagte er. »Ab jetzt verläuft alles nach einem nahezu mathematischen Gesetz, Ursache erzeugt
     Wirkung, Wirkung wird wiederum Ursache, und aus der ersten Wirkung erfolgt die zweite. Lord Montagus Schritt hat die Rochelaiser
     Kapitäne, die bei der englischen Flotte dienten, veranlaßt, ihre Unterwerfung anzubieten. Und da die Kapitäne den Bürgermeister
     Guiton von ihrem Vorsatz sicherlich unterrichtet haben, wird er schließlich das gleiche tun.
    »Kommt mit, Herzog, die Stunde ist günstig, das Lever Seiner Majestät müßte zu Ende sein. Wenn wir uns beeilen, können wir
     ihn allein sprechen.«
    Ich fühlte mich durch dieses »wir« sehr belohnt und folgte frohen Herzens dem Kardinal. Schloß La Sauzaie war nicht der Louvre,
     und der Weg zu den königlichen Gemächern war im Nu zurückgelegt.
    Seine Majestät saß im Bett und wusch sich die Hände in einer Schüssel, die Berlinghen ihm darreichte. Ludwigs Gesicht war
     frisch und ausgeruht, der Monat Oktober, nicht zu warm, nicht zu kalt, bekam ihm gut, und das schönste: Er hatte gestern in
     Surgères einen guten Jagdtag verlebt.
    Aber Surgères lag zu weit ab vom Feldlager, sein Quartier in Aytré behagte ihm nicht, bei Bassompierre in Laleu hatte er nicht
     bleiben wollen, so hatte Ludwig den Kardinal um Gastfreundschaft ersucht. Daß der König hier sein mußte, hatte ich schon im
     Hof von La Sauzaie festgestellt, denn der war halb von Königlichen Musketieren besetzt und halb von denen des Kardinals, eine
     Nachbarschaft, die bekanntlich weder diese noch jene erfreute. Hüben wie drüben maß man einander mit dermaßen vernichtenden
     Blicken, daß es mich nicht gewundert hätte, wenn diese Hitzköpfe sich munter an die Kehle gesprungen wären. Aber auf Duelle
     stand die Todesstrafe. Und so ruhmvoll es war, mit einer Degenspitze in der Brust zu sterben, so schändlich war es, auf dem
     Schafott zu enden.
    Ludwig hatte sich die Hände getrocknet und reichte seine Hand dem Kardinal zum Kuß, danach mir. Während meine Lippen sich
     respektvoll seinen Fingern näherten, fiel mir auf, |340| daß sie diesmal nicht nach Eigelb rochen. So hatte auch ich gegenüber dem Gebieter, den ich doch hoch verehrte, meine heimlichen
     kleinen Ungezogenheiten, ganz wie Nicolas mir gegenüber.
    »Sire«, sagte der Kardinal, »der Gegenstand meines Besuches ist ein zwiefacher.
Primo
wünschte ich, Ihr würdet von diesen Blättern Kenntnis nehmen, auf welchen der Herr Herzog von Orbieu seine Gespräche mit Sir
     Francis Kirby wiedergibt. Sie beschreiben die gegenwärtige Lage in La Rochelle.
Secundo
möchte ich Euch über die Audienz berichten, die ich gestern in Eurem Namen den Rochelaiser Kapitänen im englischen Flottendienst
     gewährte.«
    »Zuerst die Blätter«, sagte Ludwig.
    Er las sie sehr viel langsamer als der Kardinal, und nicht ohne Schrecken, Grauen und Traurigkeit zu verraten.
    »Die Armen!« sagte er schließlich, »welch einen Preis zahlen sie für ihre Rebellion! Warum konnten sie

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