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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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ohne Güte saurer Wein« ist, so konnte man ihm den Vorwurf wahrlich
     nicht machen. Seine Seele war ganz Geduld und Sanftmut, und ich fragte mich, warum, zum Teufel, er das Waffenhandwerk erwählt
     hatte. Doch als ich hörte, daß er einer langen Linie von Offizieren entstammte, begriff ich, daß er kaum eine Wahl gehabt
     hatte. Doch hatte er in seinem Regiment viele Menschen gefunden, die er liebte: seine Offiziere, seine Gefreiten, seine Soldaten.
    Es versteht sich von selbst, daß Madame de Bazimont vernarrt in ihn war, ebenso aber die Kammerfrauen, die rot anliefen, wenn
     sie ihn nur sahen, und wie ein Blatt im Winde flatterten, wenn sie ihm auf einer Treppe begegneten.
    Auch als er wieder ganz zu Kräften gekommen war, frühstückte ich weiter mit ihm in dem kleinen Kabinett neben seinem Zimmer,
     weil ich annahm, daß er mir unter vier Augen mehr erzählen würde als einer ganzen Tischrunde.
    Er sprach wirklich oft von seinen Soldaten, und immer mit großer Bewegung, und voll bitterer Verzweiflung über ihr Los.
    »Ich schäme mich«, sagte er, »daß sie in eine solche Lage geraten sind. Als ich mit meiner Garnison nach La Rochelle |333| kam, um die Stadt im Fall eines Angriffs der Königlichen zu unterstützen, hatte ich genug Geld, sie zu ernähren. Aber der
     Schatz war bald aufgebraucht, weil die Lebensmittel immer teurer und immer knapper wurden, bis es schließlich gar nichts mehr
     gab. Das letzte Rind, das ich für meine Truppen kaufte, kostete zweihundertfünfzig Livres, aber an Rindern findet Ihr innerhalb
     der Mauern jetzt nicht mehr ein einziges, ebenso wenig wie Pferde oder überhaupt Vierfüßer, ob große, ob kleine. Schafe, Hunde,
     Katzen, Ratten, Mäuse, alles ist aufgegessen, und die Näpfe sind leer.«
    »Meinen Sie«, fragte ich, »daß Ihre Soldaten noch schlechter dran sind als die Rochelaiser?«
    »Sicher! Weil sie keine Rochelaiser Frauen haben, eine bewundernswerte Gattung! Um ihre Familien zu ernähren, haben sie eine
     schier unglaubliche Regsamkeit und Erfindungsgabe entwickelt. Während die Männer stur das letzte Fischchen aus dem letzten
     Priel bei Ebbe fischten, gingen sie an den Mauern Malven und anderes Grünzeug sammeln, und gehackt, gekocht und gezuckert
     – Gott sei Dank hatte die Stadt noch Rohzuckervorräte –, ergab das eine Art Suppe. Sie brachten es sogar fertig, Brot zu backen,
     oder vielmehr etwas, das Brot ähnlich sah, und zwar aus Distelwurzeln. Nur gab es leider auch bald nichts Grünes mehr, weil
     zu viele danach auf die Suche gingen. Da verteilte die Bürgermeisterei Kuhhäute. Die Häute wurden mit Glasscherben glatt geschoren,
     dann einen Tag und eine Nacht eingeweicht, dann mit Talg gekocht und klein geschnitten, und die Familie hatte zu essen.«
    »Aber ein allzu verlockendes Mahl war das nicht, wie?«
    »So kann man wohl sagen. Trotzdem, dieses Distelbrot habe auch ich gegessen. Sie können mir glauben, es lag einem wie Stein
     im Magen, es hatte nur den einen Sinn, ihn zu füllen, damit er nicht so weh tat. Aber, wie ich hörte, haben Sie, Mylord, auf
     der Insel Ré auch gehungert, als Sie in der Zitadelle eingeschlossen waren?«
    »Das ist wahr, aber wer hat Ihnen das gesagt?«
    »Madame de Bazimont, als sie mir gestern abend einen Eisenkrauttee aufs Zimmer brachte.«
    Ach! dachte ich und schmunzelte im Stillen, zieht auch dieser Magnet sie wieder mächtig an! Ich wette, wenn ich der Guten
     sagen würde, den kleinen Liebesdienst hätte auch eine |334| Kammerjungfer übernehmen können, würde sie mir antworten, sie habe so leicht entzündliches Werg nicht an eine so starke Flamme
     lassen wollen.
    »Sir Francis«, sagte ich, »bevor wir, meine Schweizer und ich, in der Zitadelle Saint-Martin eingeschlossen wurden, hatten
     wir uns mit Vorräten versehen. Damit sie lange reichten, mußten wir sie sehr sparsam einteilen, so daß wir Hunger nur im ersten
     Grade litten: Wir darbten und verloren einige Pfunde Fleisch. Den Hunger zweiten Grades, bei dem die Muskeln schwinden, der
     Gang unsicher, die Stimme tonlos wird und man zum Skelett abmagert, den beobachteten wir voll Kummer zwar um uns in der Zitadelle,
     aber uns blieb er, Gott sei Dank, erspart.«
    »Es ist wahr«, sagte Sir Francis, »daß es verschiedene Grade von Hunger gibt, und die Qual dabei ist, daß man sie einen nach
     dem anderen durchläuft, bis zum Tod. Man fragt sich wirklich, warum Heiden wie Christen für ihre Darstellungen der Unterwelt
     so ausgeklügelte Qualen

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