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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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dieser Stelle muß ich wohl erklären, daß die breite Straße, die längs der Umzingelung verlief, sich vor dem Kliff teilte.
     Das eine Ende zog sich rechter Hand zu einer Anhöhe hinauf, wo die Baracke stand, die wir soeben verlassen hatten, das andere
     Straßenende führte ans Meer. Als wir nun zu Fuß den Weg zu der Gabelung zurücklegten, den wir kurz vorher in der Kutsche gefahren
     waren, gelangten wir zu einer von aufgeschüttetem Erdreich und Felsen umgebenen Ebene, auf der die unaufhörlich eintreffenden
     Karren voller Steine hielten. Die Steine wurden von den Soldaten abgeladen und sofort grob aufgehäuft, damit der nächste Karren
     Platz fand. Die Karren folgten einander in so dichtem Abstand, daß man an der Weggabelung eine Wache postiert hatte, um die
     An- und Abfahrt der vollen und leeren Karren zu regeln.
    Sicherlich weiß meine schöne Leserin von der Weinlese her, was eine Kiepe ist: Ein großer, länglicher Korb nämlich, der an
     Riemen auf dem Rücken getragen wird. Eine Kiepe, mit der große Steine transportiert werden, und keine Trauben, muß natürlich
     haltbarer sein, ebenso müssen die Tragriemen und, wenn ich das hinzufügen darf, auch Rücken und Schultern des Kiepenträgers
     weit mehr aushalten.
    Der Träger nun (es war aber nicht nur einer, ihrer waren mehrere Dutzend, die einander überdies ablösten) bot seine leere
     Kiepe den beiden Beladern seiner Mannschaft dar, diese packten die Steine in die Kiepe, nicht ohne einige Rücksicht, damit
     das niederfallende Gewicht dem Träger nicht zu heftig und schmerzlich zusetze, da dieser seine Muskeln schon genug anspannte,
     um unter der Last nicht niederzusinken. Dann ging der Träger langsamen, schwankenden Schrittes über die Planken, die man über
     den Rumpf des bereits gebauten Deiches gelegt hatte, bis zu den beiden Entladern, welche die Kiepe leerten |122| und die Steine an genau die Stelle packten, die ihnen von den Maurern angezeigt wurde.
    »Ich glaube«, sagte Nicolas leise, »ich würde lieber Entlader als Träger sein.«
    »Dabei würdet Ihr nichts gewinnen, Herr Junker«, sagte Thiriot. »Träger ist einer immer nur zehn Minuten. Dann belädt oder
     entlädt er, und so geht es im Wechsel. Jede Mannschaft hat außer einem Träger zwei Belader und zwei Entlader. Und glaubt nur
     nicht, daß deren Arbeit leicht ist! Die Steine sind schwer und schürfen die Hände auf, wenn man sechs Stunden nacheinander
     damit zu schaffen hat.«
    »Sind alle Soldaten, die diese erschöpfende Arbeit verrichten, Freiwillige?« fragte ich.
    »Alle, Herr Graf«, sagte Thiriot. »Und Ihr seht, da ist keiner, der sich nicht müht, wie er nur kann.«
    »Ja, Faulpelze gibt es hier nicht«, sagte Métezeau, dem die Bemerkung des Marschalls noch auf der Seele lag.
    »Wie ist die Vergütung?«
    »Eine Marke pro Kiepe.«
    »Was gilt die Marke, wenn sie dem Intendanten vorgelegt wird?«
    »Einen Sous.«
    »Und warum erhalten sie den Sous nicht gleich?«
    »Um Diebstahl vorzubeugen, Herr Graf. Die Marke ist nichts wert, wenn der Soldat nicht auf der Freiwilligenliste der Intendanten
     eingeschrieben steht. Wer also den Arbeitern Marken stiehlt und dafür Geld will, landet kurzerhand am Galgen.«
    »Ist das vorgekommen?«
    »Zwei-, dreimal. Bis die Diebe begriffen, daß der Markenraub unfehlbar entdeckt wird.«
    »Auf wie viele Kiepen kommen die Männer innerhalb der sechs Stunden Niedrigwasser?«
    »Auf zwanzig. Mehr aber nicht.«
    »Das sind zwanzig Sous am Tag! Dazu der Sold von zehn Sous. Donnerwetter, das macht pro Tag einen halben Ecu! So wird man
     reich!«
    »Reich, na ja, aber um welchen Preis! Das ist Sträflingsarbeit, bei Wind, Regen und Kälte!« sagte Thiriot. »Es gibt auf dieser
     Welt angenehmere Weisen, sich zu bereichern.«
    Hätte Schomberg diese Bemerkung gehört, wäre Thiriot seinem |123| Tadel wiederum nicht entgangen. Für ihn war jegliche Kritik am Gang der Dinge unzulässig, weil Ludwig der König dieses Reiches
     war und weil der König ihn zum Marschall ernannt hatte.
    »Herr Graf«, sagte Métezeau, »der Himmel verdüstert sich. Gleich geht ein neues Unwetter nieder. Wenn Ihr gesehen habt, was
     Ihr sehen wolltet, sollten wir zurückkehren in die Baracke, wo uns ein Glühwein erwartet.«
    Die Wärme in der Baracke war erstickend, als wir hereintraten, trotzdem blieben Füße und Hände noch kältestarr. Schomberg
     saß am Tisch, mit dem Rücken zum Ofen, dessen Fauchen allein schon tröstlich und belebend wirkte. Der

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