Kardinal vor La Rochelle
menschlichen Kräfte überfordern würde.«
»Monsieur Métezeau«, sagte ich, um Schombergs ärgerliche Bemerkung zu überspielen, »Ihr baut den Deich aus Steinen. War zu
Anfang nicht die Rede davon, ihn aus Holz zu bauen?«
»In der Tat«, sagte Métezeau nicht ohne Ironie. »Es war eine Idee des italienischen Ingenieurs Pompeo Tagone, keine neue übrigens:
Was er vorschlug, war, recht besehen, nur eine Schutzmole.«
»Und was ist eine Schutzmole?« fragte ich.
»Das ist eine Art Wall zur See, der eine in einer Bucht ankernde Flotte davor schützt, daß sich im Dunkeln Pinassen oder Galeeren
zwischen die Schiffe schleichen und Schaden anrichten. Die Schutzmole besteht aus Pontons, Balken und alten Masten, die durch
Ketten und Taue verbunden sind, ein altbekanntes Mittel der Seeleute, das aber nur dauert, solange es dauert: Eine Liegezeit.«
»Heißt das, ein Sturm kann die eisernen Ketten zerreißen?«
Auf diese, ihn naiv dünkende Frage hin verbiß sich Métezeau ein Lächeln.
»Schwere See, Herr Graf«, antwortete er vollendet liebenswürdig, »zerreißt Eisenketten ebenso leicht wie Hanfseile.«
»Noch leichter sogar«, sagte Thiriot, »weil Hanfseile eine gewisse Elastizität besitzen, die das Eisen nicht hat.«
Métezeau schien nicht ganz einverstanden, entgegnete aber nichts, wohl um Thiriot vor dem Marschall nicht ins Unrecht zu setzen.
»Und was geschah«, fragte ich, »nachdem Tagone seine Schutzmole gebaut hatte?«
»Sie war hübsch anzusehen und acht Tage zu bewundern, am neunten Tag brach der Sturm sie bei steigender Flut in Stücke.«
»Und Seine Majestät«, fügte Thiriot hinzu, »entließ Pompeo Tagone mit zehntausend Ecus. Nie wurde ein so schlechter Ingenieur
so gut bezahlt.«
|120| »Monsieur Thiriot«, erwiderte Schomberg streng, »kritisiert nicht den König!«
»Herr Marschall«, sagte Thiriot, abermals tiefrot, »fern sei mir jeder Gedanke, Seine Majestät zu kritisieren.«
»Monsieur Métezeau, welche Maße hat der Deich, den Ihr erbaut?« fragte ich.
»An der Basis ist er acht Klafter breit, an der Oberfläche vier Klafter. Seine Form ähnelt stark einer Pyramide, er endet
aber nicht spitz, sondern in einem Plateau. Die Wellen können sich an den schrägen Seitenflächen nicht mit derselben Wucht
brechen, wie wenn diese vertikal wären. Außerdem werden an der Basis in Abständen Öffnungen ausgespart, durch die ein Teil
des Gezeitenflusses strömen kann, so daß das Volumen und somit die Kraft der an die Flanken schlagenden Wogen entsprechend
vermindert wird. In der Mitte erhält der Deich eine dreißig Klafter breite Passage für Schiffe ein- wie auswärts, die ebenfalls
einen Teil des steigenden oder sinkenden Gezeitenflusses hindurchläßt.«
»Monsieur«, sagte ich, »wenn ich es recht verstehe, bedingt diese Passage, daß eine Deichlänge von Coureille aus errichtet
wird und die andere von Chef de Baie.«
»So ist es, Herr Graf. Und da der Himmel sich geklärt und der Regen aufgehört hat, wäre es Euch vielleicht angenehm, den von
Chef de Baie ausgehenden Teil des Deiches zu besichtigen?«
Ich stimmte dem Vorschlag gerne zu, während Marschall von Schomberg sagte, er kenne den anderen Teil und wolle lieber in der
Baracke bleiben. Monsieur Métezeau erbot sich, ihm Glühwein bringen zu lassen, was sich der Marschall diesmal freundlich gefallen
ließ.
Wir legten Mäntel und Hüte an, draußen empfingen uns, Gott sei Dank, nicht die erwarteten Böen, aber ein eisiger Wind, der
trotzdem nicht ganz so wütend und unerträglich war.
»Das Wetter bessert sich«, sagte Thiriot, »aber bestimmt nicht auf lange. Bald haben wir den nächsten Sturm. Herr Graf, hier
ist ein Fernrohr, damit Ihr die Arbeiten jenseits der Bucht besser erkennt.«
Ich nahm das Gerät dankend entgegen, und er erwiderte mein Lächeln voll Herzlichkeit. Der grob wirkende Mann war feinfühlig
und hatte durchaus bemerkt, daß mir Schombergs Mäkeleien gegen den Strich gegangen waren.
|121| Der bei unserer Ankunft tintenschwarze Himmel war tiefgrau geworden, und gegen dieses Grau hoben sich die hellen Steine des
Deichstumpfes vor Coureille deutlich ab, die Soldaten jedoch, oder die Arbeiter besser gesagt, sah man auf dem hellen Grund
nur als bewegliche dunkle Punkte.
»Monsieur Métezeau«, sagte ich, »da vom Deichbau auf der drübigen Seite wenig erkennbar ist, könnten wir jetzt vielleicht
hier näher ans Kliff gehen, um Eure Männer am Werk zu sehen?«
An
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