Kardinal vor La Rochelle
über wechselten Monsieur de Guron, der Pater Joseph und ich verstohlen peinliche, unglückliche Blicke, denn
wenn der Kardinal, dessen Willen für gewöhnlich so fest und stark war, sich in einer solchen Ratlosigkeit befand, mußte schon
eine sehr ernste Gefahr das Reich bedrohen.
»Meine Herren«, sagte Richelieu endlich, »Ihr habt mir alle drei stets so treu gedient, daß Ihr auch als erste, unter dem
Siegel der Verschwiegenheit, eine Neuigkeit hören sollt, die mich in unaussprechliche Sorge stürzte. Da Ihr Männer voll guter
Einsicht seid, will ich Euch meine Bedrängnis aber nicht mitteilen, damit Ihr mich beklagt, sondern um Eure Meinungen und
Euren Rat zu einer Entscheidung einzuholen, welche die Grundfesten des Staates, wenn auch nicht zu stürzen, so doch zu erschüttern
vermag.«
Die Stimme blieb ihm im Halse stecken, und er brauchte eine Weile, um sich wieder zu fassen.
»Meine Herren«, fuhr er mit kaum vernehmbarer Stimme fort, »der König geht von hier fort.«
Keiner von uns dreien verstand, oder wollte verstehen, was das bedeutete. Ein langes Schweigen trat ein. Und es hätte noch
länger gedauert, wenn Pater Joseph, der mit Richelieu auf so vertrautem Fuß stand, wie es weder Guron noch ich behaupten konnten,
dem Kardinal nicht die Frage gestellt hätte, die auch uns auf den Lippen brannte.
»Monseigneur«, sagte er, »wohin geht der König?«
»Der König verläßt das Feldlager und kehrt zurück nach Paris«, brachte Richelieu leise und mühsam hervor.
Wir verharrten alle drei sprachlos, keiner wagte laut zu sagen, was ihn innerlich bewegte.
»Meine Herren«, setzte Richelieu mit bleichem und zerfurchtem Gesicht hinzu, »ich sehe, daß Ihr Euch die schwerwiegenden Konsequenzen
dieser Entscheidung vorstellen könnt. Wenn der König nach Paris geht und ich ihm folge, wie ich das als sein Minister tun
müßte, so bedeutete das hier die Auflösung. Offiziere und Soldaten würden das Lager binnen Stundenfrist |171| verlassen. Die Belagerung wäre aufgehoben, der Krieg verloren. Im Ausland würden unsere Armeen der größten Geringschätzung
anheimfallen, in Frankreich würden sämtliche protestantischen Städte des Languedoc sich gegen den König erheben! Achtzehn
Jahre der Anstrengungen und Kämpfe, sie im Staatsgefüge zu halten, wären verloren, vermutlich für immer!«
Dieses düstere Bild bewies Richelieus überragende politische Fähigkeit: Die Zukunft nicht nur im Auge zu haben, sondern sie
sich auf Grund der gegenwärtigen Gegebenheiten vorzustellen, und zwar mit einer solchen Genauigkeit und einer Farbigkeit,
daß es unbedingt überzeugte. Mir verschlug dies die Sprache um so mehr, als ich wußte, wie gewissenhaft und streng Ludwig
in der Auffassung seiner königlichen Pflichten war.
»Monseigneur«, sagte ich schließlich, »Seine Majestät sieht doch aber zweifellos, welche Konsequenzen seine Entscheidung haben
wird. Wie ist es zu begreifen, daß er sie dennoch gefällt hat?«
»Ich habe mein Bestes getan, ihn davon abzubringen«, sagte Richelieu. »Aber ich stieß gegen eine Wand. Meiner Reden überdrüssig,
verließ der König Aytré und hat sich fünf Meilen von hier in Surgères niedergelassen, wie Ihr wißt, und Surgères liegt bereits
am Weg nach Paris.«
»Für mein Gefühl, Monseigneur«, sagte Pater Joseph, »ist es besser, seinem Vorhaben zuzustimmen, bevor er sich noch mehr gegen
Euch erbost.«
»Erbost gegen mich ist er jetzt schon sehr«, sagte Richelieu traurig. »Ich schrieb ihm nach Surgères, wenn er nach Paris ginge,
bäte ich um die Erlaubnis, im Lager zu bleiben, um die Auflösung zu verhindern. Er antwortete mir schroff, ohne ihn hätte
ich so viel Autorität ›wie ein Kochtopf‹.«
Bei diesen Worten rannen zwei dicke Tränen über seine Wangen. Es war nicht das erstemal, daß ich Richelieu weinen sah, und
ich wußte durchaus, daß dieser eherne Mann, wenn eine tiefe Bewegung ihn überwältigte, seinen Kummer nicht zu unterdrücken
vermochte. Ebenso wußte ich von den großen und kleinen Zwistigkeiten, die von Zeit zu Zeit zwischen dem König und seinem Minister
aufflammten. Aber Richelieu auf den Rang eines »Kochtopfes« herabzustufen, war wohl die grausamste Bosheit, die Ludwig dem
großen Staatsdiener hatte |172| antun können, der »großen Seele, den großen Werken ohn’ Unterlaß ergeben«, wie Malherbe so treffend gesagt hatte.
»Monseigneur«, sagte Monsieur de Guron nach einer Weile des
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