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Kardinal vor La Rochelle

Kardinal vor La Rochelle

Titel: Kardinal vor La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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hörte ich ihn leise, aber deutlich sagen, »eine Null, die etwas bedeutete, solange eine Ziffer vor mir stand. Wenn
     es dem König aber beliebt, mich allein an die Spitze zu stellen, werde ich dieselbe Null sein, doch werde ich nichts bedeuten.«
    Diese bitteren, selbsterniedrigenden Worte konnte ich mir nur so erklären, daß Richelieu noch immer an der Wunde litt, die
     der König ihm zugefügt hatte, als er sagte, wenn er nicht bei ihm wäre, würde er so viel Autorität haben wie ein Kochtopf.
     Wohl oder übel fühlte ich mich also bemüßigt, ein wenig Balsam auf diese Wunde zu träufeln.
    »Monseigneur«, sagte ich, »wollt Ihr mir eine von Personen unabhängige, rein mathematische Bemerkung gestatten?«
    »Versteht Ihr denn auch die Mathematik, Monsieur d’Or bieu ?« sagte der Kardinal wie unwillig, daß er aus seinen Gedanken gerissen wurde.
    »Nicht so gut wie Herr Descartes, Monseigneur, aber die Grundlagen habe ich in jungen Jahren erlernt. Was ich zu bemerken
     hätte, ist allerdings nicht besonders gelehrt.«
    »Ich höre.«
    »Wenn es unstreitig ist, daß eine Null, die keine Ziffer vor sich hat, nichts bedeutet, so ist es ebenso unstreitig, daß eine
     Ziffer ohne Nullen hinter sich ein wenig arm dasteht.«
    Hierauf trat ein Schweigen ein, das mir so gefährlich lange erschien, daß ich mir auf die Lippen biß und meine geschwätzige
     Zunge verwünschte.
    »Monsieur d’Orbieu«, sagte Richelieu schließlich mit dem Anflug eines Schmunzelns, »solange Eure Bemerkung rein mathematisch
     bleibt, tut sie niemandem weh. Trotzdem solltet Ihr sie besser nicht wiederholen.«
    |177| »Sie ist vergessen und begraben, Monseigneur. Aber sollte sie Euch in ihrem kurzen Leben ein wenig zur Erheiterung gereicht
     haben, Monseigneur, wäre ich glücklich.«
    »Ihr dürft es sein, Orbieu«, sagte Richelieu.
    Damit streckte er auf wenig bischöfliche Weise die gestiefelten Beine aus, stellte seine Füße auf das Wärmebecken, setzte
     sich bequemer, ließ den Kopf auf seine Brust sinken und schloß die Augen. Was nicht hieß, daß er schlummern wollte, sondern
     nur, daß er keine weitere Plauderei wünschte, dafür hatte er bis Surgères noch zuviel im stillen zu erörtern und zu entscheiden.
    Nach meiner Karte hatte ich berechnet, daß es von der Küste bis Surgères fünf Meilen wären, ich hatte aber die Schleifen und
     Umwege der Landstraße nicht bedacht, in Wirklichkeit dauerte es gute drei Stunden, bis wir den Marktflecken erreichten und
     vor uns die Mauern des machtvollen Schlosses emporragten. Obwohl mir Surgères als Zitadelle uneinnehmbar erschien, hatte es
     trotz seiner riesigen Ausmaße und seines kriegerischen Ansehens etwas Heiteres und Einladendes, und das verdankte es seinem
     Park, seinen schönen Alleen, seinen Hecken und einem Hochwald aus jahrhundertealten Kastanien- und Nußbäumen. Nun verstand
     ich, warum dieser Ort weitab der Witterungsunbilden des Aunis den König so für sich hatte einnehmen können.
    Natürlich war Seine Majestät in Surgères vor seinen rebellischen Untertanen bestens geschützt, nicht nur durch die vielen
     Türme und bewehrten Zinnen, sondern auch durch die starken französischen Wachmannschaften, die Schweizer Garden und Königlichen
     Musketiere, die unsere Karosse abwechselnd mit dem größten Respekt zum Stehen brachten, um sich der insitzenden Personen zu
     vergewissern, so als traute keines der drei Corps der Wachsamkeit des vorangehenden.
    Die Äußere Wache, wie sie am Hof genannt wurde, hielt uns zum vierten und letzten Mal vor dem äußeren Tor des Schlosses an.
     Ich sollte aber nicht von »anhalten« sprechen, denn die Pferde des Kardinals waren an diese Prozedur so gewöhnt, daß sie beim
     Anblick einer Uniform, gleichviel welcher – denn alle drei waren ganz unterschiedlich –, von selbst stehenblieben. Von selbst
     überschritten sie auch die Zugbrücke (unser livrierter Kutscher sah das sicherlich anders), durchschritten das |178| innere Tor und umrundeten im leichten Trab den Ehrenhof, bis sie vor dem Empfangssaal des Erdgeschosses hielten.
    In dem Moment trat die Innere Wache heraus und reihte sich zu unserer Begrüßung, denn hier ging es nicht mehr um Kontrolle,
     unsere Ankunft war durch wechselnde Trommlersignale bis hin zum Außentor des Schlosses gemeldet worden.
    Im Empfangssaal erblickte ich den Nuntius Zorzi, der sich sogleich erhob. Beide Kardinäle – der Minister des großen Königs
     und der Gesandte des Papstes – bewegten

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