Kardinal vor La Rochelle
verschnupft, Nicolas!« sagte ich. »Denke lieber, wie du dir die Zeit vertreibst, du findest sicher ein paar
Wachen des Kardinals, die gern mit dir schwatzen.«
»Ich, ein zukünftiger Königlicher Musketier!« sagte Nicolas, indem er den Hochnäsigen spielte, der er gar nicht war, »und
mich mit den Musketieren des Kardinals einlassen, die womöglich nicht einmal von Adel sind!«
»Nicolas!« sagte ich, indem ich tat, als nähme ich seine Bemerkung ernst, »es ist der Dienst, der adelt, und nichts sonst.
Was ist ein Titel, wenn der Edelmann sich ihn nicht durch Mühsal und Gefahren im Dienst des Königs immer aufs neue erwirbt?«
»Herr Graf«, sagte Nicolas, »ich werde auch diese Perle Eurer Weisheit ehrerbietigst in meinem Gedächtnis bewahren.«
»Unverfrorener! Was hält mich ab, dir gehörig das Fell zu gerben!«
»Vielleicht bin ich ja nur traurig, Herr Graf, daß ich heute nicht mit nach Surgères darf. Dabei könnte ich wirklich froh
sein, daß Ihr mich sonst überall mitnehmt und ich, in meinem Alter und meinem Rang, so oft den König sehen darf. Ich werde
meinen Kindern mal Geschichten über Geschichten erzählen können!«
»Deinen ›Kindern‹! Das ist ja ganz was Neues! Spannst du da nicht den Pflug vor die Ochsen? Na, wenigstens habe ich jetzt
den Trost, daß du ohne mich nicht einsam sein wirst, Nicolas: Ein süßes Antlitz leistet dir Gesellschaft.«
»Ach, es läßt mich nicht los«, sagte Nicolas. »Nur ist die |175| Freude sehr gemischt. Immer nur von jemandem zu träumen, den man nicht sehen kann, was ist das?«
»Aber, aber, Nicolas! Wärm dir das Herz an einem Hoffnungsfeuer! Geduld! Warum solltest du dein kleines Paradies nicht erreichen?
Ich sage dir, wenn eine Frau liebt, geht sie durch Eisen und Feuer und überspringt auch Mauern.«
Hiermit umarmte ich ihn, und gegen die Tränen ankämpfend erwiderte er meine Umarmung.
Der Kardinal war wenig gesprächig, als ich kam, und in der rumpelnden Karosse, die uns nach Surgères führte, verstummte er
völlig und versenkte sich in seine Gedanken. Ich ging sicherlich nicht fehl in der Vermutung, daß sie um diesen bevorstehenden
schwierigen Besuch beim König kreisten.
Ich hielt mich in meiner Ecke still wie eine Maus in ihrem Loch. Doch konnte ich mich nicht enthalten, dann und wann einen
Blick auf meinen berühmten Reisegefährten zu werfen, dessen regungsloses Profil sich so beeindruckend vor der Scheibe des
Wagenschlags abhob. Mit seinen zweiundvierzig Jahren galt Richelieu landläufig bereits als alt, aber dieses Alter steckte
voll einer enormen Tatkraft. Seine Stirn war hoch. Das zurückgekämmte Haar bedeckte die Ohren und reichte ihm exakt bis in
den Nacken, während der König es in großen Locken auf die Schultern herabfallend trug. Die schönen, sehr tiefliegenden Augen
waren lebendig und beredt, die lange Nase hatte einen Höcker, von den breiten Wangenknochen lief das Gesicht dreieckig in
dem Spitzbart aus, über dem sich der feine Schnurrbart schwang. Die Kardinalskalotte saß so weit hinten auf seinem Schädel,
daß sie durch unsichtbare Hilfsmittel befestigt schien, denn nie, nicht einmal in den Stürmen des Aunis, hatte jemand gesehen,
daß sie ihm vom Kopf geflogen wäre. Wenn der Kardinal durchs Lager ritt, trug er Harnisch, Kniehosen und hohe Stulpenstiefel.
Jetzt, da er sich zum König nach Surgères begab, hatte er weder Harnisch noch Degen angelegt, die Stiefel aber in Anbetracht
des schlammigen Landes beibehalten. Muß ich betonen, daß in seinen Zügen, seinem Gesichtsausdruck nicht die mindeste Spur
salbungsvoller Priesterlichkeit zu entdecken war? Dafür merkte man seiner gefalteten Stirn, seinen zusammengepreßten Lippen,
seiner gesammelten Reglosigkeit an, mit welcher inneren Spannung er all das Für und das Wider seiner heiklen Situation erwog.
|176| Er schien so in sich verschlossen, daß ich ganz entgeistert war, als sich nach einer halben Stunde rumpelnder und holpriger
Fahrt seine Stimme vernehmen ließ. Offen gestanden, würde ich nicht darauf wetten, daß er zu mir sprach, daß er meiner Gegenwart
überhaupt inne war oder gar eine Antwort von mir erwartete. Wiederum könnte ich auch nicht behaupten, er habe laut gedacht,
weil ich nie bemerkt hatte, daß dies seine Art war. Wie dem auch sei, die Worte, die er äußerte, waren jedenfalls von einer
Demut, die zwar seinem geistlichen Kleid anstand, aber doch niemals seiner Persönlichkeit.
»Ich war«,
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