Kardinal vor La Rochelle
Schweigens, »hat Seine Majestät Euch die Gründe mitgeteilt, die
ihn zur Abreise bewegen?«
»O ja. Er sagte, daß er das widrige Klima im Aunis nicht ertrage und ernstlich für seine Gesundheit fürchte. Dieser Furcht
gesellt sich meines Erachtens eine noch drängendere hinzu. Doktor Héroard, der ihn seit dem Tag seiner Geburt, das heißt,
seit siebenundzwanzig Jahren, mit Ergebenheit und wahrhaft mütterlicher Liebe umhegt hat, ist an dem Punkt, ihn zu verlassen.«
»Doktor Héroard verläßt ihn!« sagte Pater Joseph mit kaum verhaltener Entrüstung. »Kann er ihm nicht befehlen, bei seiner
Pflicht zu bleiben?«
»Leider nein«, sagte Richelieu. »Héroard gehorcht jetzt einem anderen Gebieter als dem König. Er liegt auf den Tod darnieder,
und ohne seine Arzneien und seine Fürsorge fühlt sich der König verloren.«
Diese Nachricht schmerzte mich. Ich liebte und schätzte Héroard, obwohl mein Vater, der medizinischen Schule zu Montpellier
getreu, seine Aderlässe und Klistiere hinter vorgehaltener Hand von jeher kritisiert hatte, weil sie ihn weit schädlicher
als nützlich dünkten. Für mein Gefühl war das aber nicht das Entscheidende. Ludwig liebte seinen Leibarzt und hatte unerschütterliches
Vertrauen zu ihm, er hielt ihn für fähig, ihn von jeglichem Übel zu heilen, obgleich er seine Genesungen bisher wohl eher
seiner Jugend als den verordneten Mitteln verdankte. Hier wie überall versetzte der Glaube Berge.
»Meine Herren«, fuhr Richelieu fort, »was ratet Ihr mir in dieser Lage des Reiches?«
»Monseigneur«, sagte Pater Joseph, »wenn der König gegen Euren Willen und gegen sein eigenes Gewissen geht, wird er Reue empfinden,
und diese Reue wird sich gegen Euch kehren. Deshalb meine ich, Ihr solltet Euch nach Surgères begeben und, im Gegensatz zu
dem, was Ihr bisher vertreten habt, den König zur Abreise drängen, weil seine Gesundheit das kostbarste Gut des Reiches ist.«
Ich hätte es um keinen Preis ausgesprochen – denn Pater Joseph war Kapuziner und verabscheute die Jesuiten, die in seinen |173| Augen zu weltlich waren –, aber ich fand seinen Vorschlag von einer Schläue, die eines Jesuiten würdig war.
»Was haltet Ihr davon, Orbieu?« fragte der Kardinal.
»Was Pater Joseph sagt, sind goldene Worte. Und solltet Ihr seiner Anregung zustimmen, meine ich, daß der König Euch in aller
Form an die Spitze der Armee, des Feldlagers und der benachbarten Provinzen stellen müßte.«
»Monsieur de Guron?« fragte Richelieu.
»Ja«, sagte Guron, »er müßte Euch regelrecht einen Auftrag dazu erteilen.«
»Meine Herren, ich danke Euch«, sagte Richelieu und stand auf. Sein Gesicht war wieder klar und heiter. »Ich werde Eure guten
Ratschläge überschlafen und, da die Nacht weiser ist als der Tag, meinen Entschluß morgen fassen. Womöglich«, fuhr er mit
einem kleinen Funkeln in den Augen fort, »gäbe ich gar keinen so schlechten General ab, wenn er in einem guten Kochtopf ohne
Überstürzung garen kann.«
Wir gestatteten uns nicht das kleinste Lächeln und zogen uns mit den üblichen Reverenzen zurück. Ich war bereits an der Tür,
als Richelieu mich bat, noch einen Augenblick zu bleiben.
»Monsieur d’Orbieu«, sagte er, nachdem Guron und Pater Joseph die Tür hinter sich geschlossen hatten, »könnt Ihr morgen um
neun Uhr hier sein? Dann nehme ich Euch in der Karosse mit nach Surgères, und Ihr könnt dem König von Eurem Besuch bei Frau
von Rohan berichten.«
»Ich werde pünktlich sein, Monseigneur«, sagte ich mit neuerlicher Verneigung.
Draußen erwarteten mich Nicolas, meine Stute und der unvermeidliche Regen. In meinem Kopf ordneten sich die Gedanken zu drei
Feststellungen, die ich der Methode des Kardinals gemäß zueinander in Beziehung setzte.
Primo
, Pater Joseph hatte seinen Vorschlag nur gemacht, weil er Richelieu sehr gut kannte und wußte, daß er diesen Ausweg sowieso
wählen würde.
Secundo
, der Kardinal nahm mich nur darum mit nach Surgères, damit er einen plausiblen Vorwand hatte, den König aufzusuchen.
Tertio
, er brauchte seinen Entschluß nicht erst zu überschlafen: Der stand bereits fest.
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|174| SIEBENTES KAPITEL
Wie enttäuscht war Nicolas am folgenden Tag, als wir in Pont de Pierre beim Haus des Kardinals anlangten und er aus meinem
Mund erfuhr, daß er nun allein bleiben und unsere Pferde hüten müsse, weil der Kardinal mich in seinem Wagen mitnehmen wollte
zum König.
»Ach, nun bist du
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