Kardinal vor La Rochelle
vorhattest?«
»Ich entsinne mich, Herr Graf.«
»Diesen Rat hatte ich dir nicht begründet. Der Grund ist aber der: Nach den inständigen Blicken, die ihr bei Frau von Rohan
gewechselt hattet, wäre es von dir höchst unverschämt gewesen, dem Fräulein zu schreiben, ohne sie um ihre Hand zu bitten.
Diesen Schritt konntest du deshalb nicht tun, weil du ihr nur deine Zukunft und deinen schmalen Sold als Königlicher Musketier
zu bieten hattest.«
»Ich hatte natürlich begriffen, Herr Graf, daß ich diesen Schritt nicht tun konnte, weil ich für das Fräulein zu schlecht
gebettet bin.«
»Schön. Kannst du dir vielleicht vorstellen, daß das Fräulein erraten hat, daß du die Frage, die euren Blicken entsprang,
nicht zu stellen wagtest, weil die Schwindsucht deines Beutels dich lähmte? Und habe ich dir nicht gesagt, wenn eine Frau
liebt, dann geht sie durch Eisen und Feuer und überspringt auch Mauern? Nun, was willst du noch? Mademoiselle de Foliange
hat die Mauern übersprungen! Sie hat dir geschrieben. Sie hat dich aufgefordert, um ihre Hand anzuhalten, und sie teilt dir
vorsorglich mit, daß sie dreißigtausend Livres Rente besitzt.«
»Herr Graf, gerade diese dreißigtausend Livres Rente stecken mir quer im Hals. Wieso, zum Teufel, mußte sie die erwähnen?«
»Wieso sollte sie die verschweigen? Was ist verkehrt daran? Das Fräulein ist in dich vernarrt, und mit sehr weiblicher Weitsicht |201| hat sie dich unterrichtet, daß sie dir keine drückende Last sein wird.«
»Aber, warum, zum Teufel, hat sie von den dreißigtausend Livres gesprochen? Das verpfuscht alles! Ich habe das Gefühl, sie
will mich kaufen, und darauf einzugehen, verbietet mir meine Ehre.«
»Deine Ehre!« sagte ich. »Was ist denn beleidigend für deine Ehre, wenn das Fräulein dir sagt, daß sie reich ist? Ich finde
dieses Geständnis ganz im Gegenteil sehr rührend. Welch ein Liebesbeweis der Belagerten, wenn sie dich belagert, damit du
sie heiratest!«
»Aber wir haben uns eine Viertelstunde gesehen! Sie kennt mich doch gar nicht! Und ich kenne sie auch nicht!«
»Mein armer Nicolas, wenn du das Ende der Belagerung abwarten willst, um sie besser kennenzulernen, lernst du sie nie mehr
kennen. Sie wird nicht mehr auf Erden weilen. Aber du hast wenigstens den Trost, an ihrem Grab zu beten.«
»Ihr Grab! Herr Graf, Ihr seid grausam!«
Damit schlug er beide Hände vors Gesicht und schluchzte sich die Seele aus dem Leib. Ich nahm ihn in die Arme und klopfte
ihm begütigend auf den Rücken. War es, fragte ich mich, nicht doch ein wenig zu hart von mir gewesen, den Rochelaiser Friedhof
zu beschwören, um ihm vor Augen zu führen, welche Folgen eine Ablehnung um seiner »Ehre« willen für sie haben könnte? Doch
im selben Moment begann er mit erstickter Stimme zu murmeln.
»Ich glaube, Ihr habt recht, Herr Graf«, sagte er, »und wenn ich alles recht bedenke, ist der einzige ehrenhafte Entschluß,
den ich jetzt fassen kann, Mademoiselle de Foliange um ihre Hand zu bitten.«
Fast hätte ich losgelacht, wenn die Situation es nicht verboten hätte. Das beschworene Grab hatte seine Wirkung getan. Die
Ehre meines Nicolas hatte im Handumdrehen das Lager gewechselt.
Ich straffte mich. Nicolas straffte sich auch, trocknete seine Tränen und verharrte eine Weile stumm.
»Ach!« sagte er plötzlich erschrocken, »es gibt noch eine furchtbare Schwierigkeit, Herr Graf! Wie soll ich mich trauen, Mademoiselle
de Foliange zu schreiben? Meine Rechtschreibung ist so miserabel!«
|202| Über so viel Kinderei war ich sprachlos. Ich hatte nicht übel Lust, das Hähnchen gehörig aufzuziehen. Aber der arme Nicolas
hatte bei diesem Gespräch schon so viel zu schlucken gehabt, daß ich ihn nicht weiter entmutigen wollte.
»Ein Glück«, sagte ich, »daß meine Rechtschreibung besser ist und deiner beistehen kann.«
»Oh, ja!« rief er begeistert. »Können wir den Brief jetzt gleich schreiben?«
Diesmal erlaubte ich mir denn doch, lauthals zu lachen.
»Weißt du, Nicolas! Dein Brief geht heute sowieso nicht mehr ab, und jetzt gleich, mein Junge, jetzt gleich schläfert es mich,
wie Henri Quatre sagte. Wir schreiben morgen.«
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|203| ACHTES KAPITEL
Am nächsten Morgen machten wir uns an das schwierige Werk, einen Brief an Mademoiselle de Foliange zu entwerfen. Er sollte
erfüllen, was sie verlangte, ohne jedoch ihre Empfindlichkeiten zu verletzen. Wie Nicolas treffend gesagt hatte, war es
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