Kardinal vor La Rochelle
zumindest
ja »ungewöhnlich«, daß ein wohlgeborenes Fräulein, auch wenn sie Waise war, einen Edelmann aus eigenen Stücken um seine Hand
bat, und da die Schöne um die Gewagtheit ihres Schrittes durchaus wußte, mochte sie deswegen jetzt einige Scham empfinden.
Sollten also manche Wendungen unseres Briefes sie peinlich berühren, konnte sie den Heiratsantrag immer noch ausschlagen,
den sie selbst veranlaßt hatte.
Nicolas, der seit dem letzten Abend vor glühender Liebe überquoll und in der Nacht kaum geschlafen hatte, wollte seinem ganzen
Gefühlsüberschwang Ausdruck verleihen. Doch ich warnte ihn, die Empfängerin des Briefes nicht durch Hitzigkeiten zu verschrecken.
Nicolas sah es ein. So steckten wir unsere Köpfe zusammen und verfaßten einen Brief, der nicht zu heiß war und nicht zu kalt.
Nicolas fand einen sehr gewandten Weg, das Zartgefühl von Mademoiselle de Foliange zu schonen. Er nahm den Heiratsantrag,
der an ihn ergangen war, ganz auf sich und bat die Schöne ergebenst, ihm ihre Hand zu reichen (die erklärtermaßen schon in
seiner lag), und er sagte, daß er ein schriftliches Ja von ihr benötige, um beim Kardinal einen Passierschein zu erwirken,
damit Mademoiselle de Foliange ins königliche Lager eingelassen werde.
Die Vorsehung wachte über diese Liebe mit Wohlwollen. Einen Monat später hätte der Brief, der über das Schicksal zweier Menschen
entschied, seine Empfängerin nicht mehr erreicht, denn zu jenem Zeitpunkt beschloß der Kardinal, den Briefverkehr zwischen
dem Lager und La Rochelle einzustellen, weil trotz der Wachsamkeit der Zensoren die harmlosesten |204| Briefe in verdeckten oder verabredeten Worten Informationen schmuggeln konnten, die unserer Sache abträglich waren.
Zum Glück also waren noch nicht alle Brücken zwischen La Rochelle und uns abgebrochen, und eine Woche nachdem Nicolas seinen
Brief abgesendet hatte, erhielt er von Mademoiselle de Foliange eine Antwort, die den Rollentausch stillschweigend überging
und seiner Bitte um ihre Hand huldvoll stattgab. Ich trug das Schreiben sogleich zum Kardinal, damit er der Schönen einen
Passierschein genehmige. Er warf einen gleichmütigen Blick darauf und lächelte süßsauer.
»Monsieur d’Orbieu«, sagte er seufzend, »muß ich mich auch damit noch beschäftigen?«
»Das Fräulein, Monseigneur, ist eine Verwandte der Herzogin von Rohan, und sie ist Katholikin. Soll sie für einen Glauben
sterben, der nicht der ihre ist?«
Mir erschien das zweite Argument triftiger als das erste, Richelieu aber, Kardinal hin, Kardinal her, war anderer Ansicht.
»Wenn sie mit der Herzogin von Rohan verwandt ist und diese damit einverstanden ist, daß das Fräulein die Mauern von La Rochelle
verläßt, ist das eine politische Angelegenheit, Monsieur d’Orbieu, und ich muß die Meinung des Königs dazu einholen. Er betrachtet
die Herzogin als seine Cousine und behandelt sie, schon im Gedanken an die Zeit nach dem Kriege, mit aller Schonung, wie Ihr
wißt. Es ist also besser, wenn der Passierschein von Seiner Majestät erteilt wird. Dann hat er mehr Gewicht. Eine Kopie des
Briefes von Mademoiselle de Foliange geht mit meinen Darlegungen morgen nach Paris.«
Nun kannte Ludwig ja Nicolas gut, weil er ihn stets an meiner Seite gesehen hatte, wenn ich seinem Lever beiwohnte. Und wenn
der Leser mir ein offenes Wort gestattet, hatte er ihn jedesmal mit großem Gefallen betrachtet, Nicolas war nun einmal ein
sehr ansehnlicher Bursche. Und um es für diejenigen, die diese Memoiren nicht in Gänze gelesen haben, zu wiederholen: Ludwig
war den Frauen nicht eben gewogen, denn von seiner Mutter hatte er keine Liebe, sondern nur Herabsetzung erfahren, und seine
Gemahlin hatte sogar gegen ihn komplottiert, um seinen Bruder zu ehelichen. Aber wenn Ludwig keine Mätresse hatte, so hatte
er doch auch keinen Lieblingsfreund in dem Sinne, den der Hof diesem Wort beilegte.
Außer der Freude, die Seine Majestät an Nicolas’ Schönheit |205| fand, hatte er noch andere Gründe, ihm seine Gunst zu beweisen: Nicolas war nicht nur mein Junker, er war auch der jüngere
Bruder eines anderen treuen Dieners, der seinem Thron teuer war, Monsieur de Clérac, Hauptmann der Königlichen Musketiere.
Und schließlich hatte er bekanntlich seine Gründe, der Herzogin von Rohan ganz besondere Großmut zu bezeugen. Er tat also
mehr, sehr viel mehr, als Mademoiselle de Foliange ein Papier auszustellen, das ihr das
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