Kardinal vor La Rochelle
denn das Tintenfaß ist voll, und mir so exakt wie möglich die Botschaft niederzuschreiben, welche mir Seine Majestät durch
Euch übermitteln ließ.«
Dieses Schreibzeug kannte ich gut, Charpentier und die anderen Sekretäre des Kardinals benutzten es oft, um nach seinem Diktat
Sendschreiben an diesen oder jenen aufzusetzen, damit die kostbare Zeit während der nahezu unvermeidlichen Aufenthalte auf
einer langen Kutschfahrt nicht vergeudet wurde.
Monsieur de Guron hatte seine Kopie fertiggestellt und reichte sie dem Kardinal. Der faßte das Blatt behutsam zwischen Daumen
und Zeigefingern, las es, beglückwünschte Monsieur de Guron zu seiner schönen Handschrift, wedelte das Blatt, damit die Tinte
rascher trockne, dann las er es erneut, wobei ihm vor Bewegung Tränen in die Augen traten. Hierauf faltete er es zusammen
und steckte es in die Innentasche seiner Soutane.
»Monsieur de Guron«, fuhr er nach kurzem fort, »findet Ihr bei dem Schreibzeug noch unbenutzte Blätter?«
»Noch zwei, Monseigneur.«
»Eins genügt, wenn Ihr, Monsieur de Guron, noch ein zweites Mal für mich schreiben wolltet, aber diesmal nach meinem Diktat.
Es ist ein Brief an Seine Majestät.«
»Monseigneur«, sagte Guron, »ich fühle mich hoch geehrt.«
»Seid Ihr bereit, Monsieur de Guron?«
»Ich bin bereit, Monseigneur.«
Richelieu schloß einen Moment die Augen, dann schlug er sie auf und diktierte langsam seinen Brief an den König, indem er
aufmerksam Gurons Federzüge auf dem Papier verfolgte, um ihm genug Zeit zu lassen.
Sire, es ist mir unmöglich, Eurer Majestät nicht zu bekunden, wie bekümmert ich bin, ihr eine Zeitlang fern zu sein … Die |195| Betrübnis, die ich verspüre, ist größer, als ich es mir hatte vorstellen können … Die Zeugnisse Eurer Güte und Eures liebenden
Gedenkens, welche Ihr selbst mir zu geben geruhtet als auch durch Monsieur de Guron, bewirken, daß das Gefühl, von dem besten
Gebieter der Welt entfernt zu sein, mir bitterlich ins Herz schneidet.
Monsieur de Guron hatte geendet, reichte dem Kardinal das Schreiben, und er unterzeichnete es. Wieder faßte er das Blatt zwischen
Daumen und Zeigefinger, wedelte es, dann faltete er es zusammen und steckte es ein.
Stumm, die Augen gesenkt, lernte ich diesen Brief auswendig, noch während Richelieu ihn diktierte. Gleich in der Karosse wiederholte
ich ihn mir im stillen, um ihn ja nicht zu vergessen, und das erste, was ich tat, als ich zu Brézolles mein Zimmer betrat,
war, ihn aufs Papier zu werfen, damit er für immer im Familienarchiv aufbewahrt bleibe. Ich tat dies, weil ich den Brief an
sich anrührend fand, aber auch, weil es kein besseres Dementi des böswilligen Hofklatsches gab, der, seine Wünsche für die
Wirklichkeit nehmend, Monat um Monat verbreitete, der König hasse den Kardinal, und seine Ungnade sei quasi vollendete Tatsache.
***
Briefe, scharf kontrolliert von beiden Seiten, gingen auch vom königlichen Lager nach La Rochelle und von La Rochelle ins
königliche Lager. Trotzdem war ich bei meiner Rückkehr nach Brézolles nicht wenig überrascht, als Madame de Bazimont mir beim
abendlichen Tee einen Brief übergab, der aus dem »hugenottischen Wespennest« zu uns gelangt war. Die königlichen Zensoren
hatten ihn erbrochen, gelesen und neu mit liliengeziertem Wachs gesiegelt zum Zeichen, daß er dem Empfänger bedenkenlos ausgehändigt
werden könne.
Ich bat Madame de Bazimont, mich zu entschuldigen, setzte mich ein wenig abseits und überflog das Sendschreiben, dann las
ich es erneut, voll einer Verblüffung, die mit jeder Zeile wuchs. Hier nun der Brief, genau so, wie er geschrieben stand,
ohne etwas auszulassen noch hinzuzufügen.
|196| »Herrn Graf von Orbieu
Schloß Brézolles
Saint-Jean-des-Sables
Hochverehrter Herr Graf,
Anläßlich Eures Besuches in La Rochelle bei meiner teuren Beschützerin, der Herzogin von Rohan, werdet Ihr gewiß bemerkt haben,
mit welcher Gunst ich Euren liebenswerten Junker, Herrn Nicolas von Clérac, betrachtete. An ihn wende ich mich durch Eure
gnädige Vermittlung, sofern Ihr mir diese zu bewilligen geruht.
Die Lage hier wird von Tag zu Tag schlimmer: Die Frau Herzogin von Rohan beschied sich vor einer Woche, zwei ihrer Gespannpferde
zu opfern, damit ihr Gesinde und sie selbst Fleisch zu essen hätten. Damit nicht genug, vorgestern entfloh ihr Koch aus La
Rochelle, um ins königliche Lager überzuwechseln. Bei seinem
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