Kardinalspoker
von dem Recht jedes
Mandatsträgers, Anträge zu stellen, und von dem Verständnis, dass der KGB-Antrag
zurückgezogen wurde.
Nicht weniger spektakulär war der Bericht aus Aachen. Die Hinweise
der Polizei und der Staatsanwaltschaft fanden sich nur versteckt wieder. Das Boulevardblatt
sprach vom Opfer eines möglichen Fankrieges. Die Polizei tappe deswegen im Dunkeln.
Es sei Schlimmes zu befürchten, denn die FC-Fans hätten Rache geschworen. ›Der Tod
unseres Freundes bleibt nicht ungesühnt‹, zitierte der Blitz einen nicht genannten
Fanvertreter, um zugleich darauf hinzuweisen, dass es keine gesicherten Erkenntnisse
gäbe über die näheren Umstände, die zum Tode des Fans geführt hätten.
Einen kleinen Artikel am Rande zwischen
großformatigen Anzeigen hätte Böhnke beinahe überlesen. ›Ist der Kardinal der Tote
vom Tivoli?‹, fragte die Überschrift. Anscheinend hatte quasi schon im Laufe des
Druckprozesses dieses Ausgabenteils jemand noch diesen Aspekt ins Blatt bringen
wollen, aber nicht mehr die Zeit besessen, um das Thema genauer aufzugreifen.
Gerüchten zufolge könnte Kardinal
der am Tivoli tot Aufgefundene worden sein, schrieb das Blatt. Kardinal sei FC-Fan
gewesen, habe zum Spiel seines FC nach Aachen gewollt und sei am Tage nach dem Spiel
nicht mehr gesehen worden. Der Tote habe das gleiche Alter wie Kardinal. ›Es könnte
sich um Kardinal handeln‹, ließ der Blitz einen Experten vor Ort zu Wort kommen.
Ob es diesen Experten tatsächlich
gab, bezweifelte Böhnke. Aber das spielte keine große Rolle. Heute würde die besorgte
Öffentlichkeit die Wahrheit erfahren. Heute würde der Tote einwandfrei identifiziert
und die Leiche obduziert werden.
Da wurde krampfhaft
nach Aktualität gesucht, schmunzelte Böhnke. Anscheinend war er besser im Bilde
als die Kölner Journalisten.
Kardinal schien
ein merkwürdiges Früchtchen gewesen zu sein. Auf die vermeintliche Glorifizierung
im Blitz gab Böhnke nicht viel. Heute hui, morgen pfui, war die Devise, heute König,
morgen Bettelmann. Heute ließ der Boulevard Kardinal verkaufsfördernd hoch leben,
um ihn morgen – ebenfalls verkaufsfördernd – umso tiefer fallen zu lassen, ganz
so, wie es ins Stimmungsbild passte, nach dem sich der Leser seine angeblich unbeeinflusste
Meinung bildete.
Der Name Kardinal
gab dem Toten eine Volksnähe, die ihm so lange zugebilligt wurde, wie es den Journalisten
opportun schien. Sollte sich Kardinal als Scharlatan erweisen, würden ihm diese
Journalisten vorwerfen, mit der KGB die Beliebtheit und das Lebenswerk des unerreichten
Kardinals Frings missbräuchlich und verabscheuungswürdig für sich in Anspruch genommen
zu haben.
Aufschlussreicher als beim Blitz
war für Böhnke die Berichterstattung im ›Stadtanstreicher‹, wie der Stadtanzeiger
gerne bezeichnet wurde. Mit seinen Worten würde Böhnke Kardinal als ›Lutscher‹ bezeichnen,
als Menschen, der alles mitnahm, was er auf Kosten anderer mitnehmen konnte, ohne
zu einer Gegenleistung bereit zu sein.
Wurde er damit Kardinal wirklich
gerecht? Er wusste es nicht, es war aber auch nicht von Belang. Er würde deswegen
keine schlaflosen Nächte haben, allen Kardinälen und sonstigen Toten zum Trotz.
5.
Die kleine Runde, zu der Werner Müller eingeladen
hatte, garantierte Vertraulichkeit, sofern bei Politikern verschiedener Parteien
überhaupt Vertraulichkeit bestehen konnte. Allmonatlich oder nach Bedarf lud der
Kölner Oberbürgermeister die Fraktionsvorsitzenden der großen Rathausparteien zu
einem Gespräch ein. Was zwischen ihnen gesagt wurde, blieb auch unter ihnen; so
war es die Regel dieses Gremiums, das es nach der Gemeindeordnung und den üblichen
parlamentarischen Gepflogenheiten gar nicht gab. Es war eine der wenigen Möglichkeiten,
um die kleinen Splittergruppierungen einigermaßen im Zaum zu halten. Wenn die vier
etablierten Parteien bei Eckpunkten der Kommunalpolitik Einheit demonstrierten,
bliesen die kleinen Fraktionen meistens schnell zum Rückzug. Nur die KGB machte
da die Ausnahme. Sie wollte stets, ganz im Sinne des von ihr beanspruchten Bürgerwillens,
ihre Anliegen durchboxen, mit Kardinal an vorderster Stelle. Da wurde öffentlichkeitswirksam
der Verkauf eines städtischen Geländes an eine Supermarkt-Kette gefordert, obwohl
das Gelände nach dem Flächennutzungsplan ausschließlich für eine Wohnbebauung vorgesehen
war. Das wusste zwar auch die KGB, aber es hörte sich für den unbedarften, unwissenden
Bürger immer gut an,
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