Kardinalspoker
Hirn aus
dem Kopf gesoffen haben und Alkoholiker sind?« Er war müde und hatte keine Lust,
sich länger mit Toten und Sümmerling zu beschäftigen. Da war so eine bescheuerte
Frage die beste Methode, den anderen zu einem Abbruch des Gesprächs zu bewegen.
Sümmerling schwieg lange. »Das schließe
ich nicht aus, wobei ich allerdings meine Kollegen vom Zeitungsverlag davon ausnehme.
Aber es ist statistisch gesehen so, dass die Zahl der Alkoholiker unter Journalisten
und in der gesamten Medienbranche überdurchschnittlich hoch ist. Auch sterben Journalisten
deutlich früher als Vertreter anderer Berufsgruppen und sind auch häufiger geschieden
als der deutsche Durchschnittsbürger.«
»Ist denn
dieser Kardinal einer dieser Journalisten gewesen?« Böhnke erinnerte sich an den
Zeitungsbericht, in dem von dem ›Kollegen‹ Kardinal die Rede gewesen war.
»Der soll Journalist gewesen sein?«,
prustete Sümmerling. »Das wüsste ich aber.«
11.
Sümmerling hatte nicht untertrieben, als er über die Auswirkungen des
zweiten Toten vom Tivoli auf den Blätterwald spekuliert hatte. Er selbst war bei
den Fakten geblieben, die nicht so zahlreich waren und die nicht auf einen bestimmten
Weg hinwiesen. Böhnke freute sich über diese sachliche Berichterstattung eines unerfreulichen
Themas.
Die morgendliche Zeitungslektüre
von Müller hingegen war umfangreich. Seine Sekretärin hatte ihm weisungsgemäß alle
Artikel über den Tod am Tivoli kopiert, die in den Lokalzeitungen und in den überregionalen
Blättern erschienen waren. Wenn Kölner in Aachen sterben, ist das immer ein Thema
für den Oberbürgermeister, hatte er sein Interesse begründet. Schnell hatte Müller
die meisten Artikel überflogen. Viele ähnelten sich, sobald sie sich auf die Fakten
einließen. Anders war es bei den Boulevardblättern, die alle ihre Befürchtungen,
ob vorher tatsächlich geäußert oder nicht, als bestätigt ansahen.
›Der Fan-Krieg tobt unerbittlich‹,
hieß es. Da war vom ›Killer-Stadion Tivoli‹ die Rede. Bisweilen wurde sogar gefordert,
das Stadion zu sperren, bis die Morde aufgeklärt seien. ›Jeder muss um sein Leben
fürchten, wenn er den Tivoli betritt‹, behauptete ein Blatt, um zugleich auf die
intensiven Kontrollen in den deutschen Stadien hinzuweisen. ›In Aachen versagt der
Sicherheitsdienst‹, unterstellte der Blitz, der sogar die aberwitzige Vermutung
in die Diskussion einwarf, die Alemannia könnte wegen der Zwischenfälle vom weiteren
Pokalwettbewerb ausgeschlossen und der FC nachträglich in die nächste Runde aufgenommen
werden.
So ein Blödsinn, kommentierte Müller für sich,
dem der Trend, der sich in der Berichterstattung andeutete, durchaus zupass kam.
Die Morde hatten sich wahrscheinlich im Fansektor ereignet, die Polizei würde sich
zunächst darauf konzentrieren, die Fanszene in Aachen und in Köln intensiv zu überprüfen.
Sollten sie ruhig einmal unter den Hooligans aufräumen, freute er sich.
Der Oberbürgermeister
entschied, die vorgesehene, turnusmäßige Vorsitzendenrunde wieder abzusagen. Es
gab nichts, was er den Sprechern der Rathausfraktionen mit auf den Weg geben könnte.
Ursprünglich hatte er daran gedacht, ihnen einen schwer verdaulichen Brocken hinzuwerfen,
der einige der Ratsmitglieder in Schwierigkeiten gebracht hätte. Sie alle hätten
ein Motiv gehabt, Kardinal ans Leder zu gehen. Aber so konnte er sich das Faustpfand
noch aufbewahren. Wer wusste, ob nicht doch noch einer irgendwann auf seine Sexspielchen
zu sprechen kam. Kardinal hätte demjenigen etwa von dem Bordellbesuch berichten
können und im Gegenzug eine andere, vermeintlich delikate Information erhalten.
Man konnte nie wissen, wie verquer in den Köpfen der Politiker gedacht wurde, um
sich Vorteile zu verschaffen. So sauber, wie viele seiner Saubermänner im Stadtrat
wirkten, waren sie beileibe nicht. Da war es gut, für alle Fälle immer noch ein
Druckmittel zu haben, und wenn es nur eine möglicherweise fehlerhafte Kilometerabrechnung
einer Dienstfahrt gewesen sein sollte. Auch würde so manche angebliche Informationsreise
eines Stadtratsmitglieds selbigem die Lust nehmen, sich über den lustvollen Bordellbesuch
des Oberbürgermeisters lustig zu machen.
Müller schmunzelte
über seine Wortspielerei. Er bat seine Sekretärin, den Termin mit den Fraktionen
zu streichen. Wenn er später einmal seine Faustpfänder hervorholen würde, würden
sie sicherlich bald schon in den Medien zirkulieren. Insofern betrieb er
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