Karibik all inclusive: Ein Mira-Valensky-Krimi
wegfahren sieht. „Ich nehme mir ein Taxi.“ Er kann mir sicher einiges über die Insel und das Pleasures erzählen. Ich werde ihn nicht aushorchen, dazu ist er mir zu sympathisch. Außerdem darf ich nicht vergessen: Er ist hier angestellt. Er ist loyal – nehme ich einmal an.
„Gute Idee“, nickt der Taxifahrer zufrieden, als ich ihm mein Ziel nennen, „ich werde auf eine Partie Domino dort bleiben.“
Wir fahren die Inselhauptstraße nicht Richtung Oldtown, sondern zwei, drei Kilometer nach Norden, kommen durch ein kleines Dorf, eher eine Ansammlung von Häusern. „Miracle Bakery“ steht über einem eingeschossigen, garageartigen Bau, aus dem es tatsächlich wunderbar nach Brot duftet. Mit Wundern scheint man es hier zu haben. Ich zähle ein, zwei, drei, vier Kirchen.
Der Taxler bemerkt meine neugierigen Blicke. „Damit sich jeder die Kirche aussuchen kann, die ihm liegt.“
So viel Wettbewerb hat der Papst gar nicht gern.
Zwei junge Männer sitzen auf dem Verandageländer eines graustichigen, ehemals rot und grün gestrichenen Holzhauses und schauen träge auf die Straße. Einige Buben rennen um die Wette, sie tragen beigebraune Schuluniformen.
Eine zahnlose alte Frau winkt uns zu.
„Meine Tante“, erklärt der Taxifahrer, bevor ich auf die Idee komme, hier winken alle Eingeborenen und wollen Glasperlen. Wer ihn nicht kennt, übersieht den verblichenen Pfeil Richtung Best Bay. Wir fahren eine Staubstraße entlang, Schlaglöcher, Gestrüpp, neugierige Ziegen am Wegrand, ein pelziger Mungo zischt über den Weg, Palmen und dann der Blick aufs Meer. Mag sein, dass die Bucht vor dem Pleasures eleganter ist, aber diese hier ist überwältigend: zwei, drei Kilometer Sandstrand, dahinter Hügel mit dornigem Gestrüpp und riesigen Agaven. Auf einem Felsen im Meer sitzt ein Pelikan und glotzt aufs Wasser.
Die Glorious-Sunset-Bar ist eindeutig Handarbeit. Eine Hütte, die aus Brettern zusammengenagelt wurde, blau lackiert, verziert mit Fotos und Postkarten aus aller Welt. Die Terrasse hat einen Holzboden und ist überdacht, zum Sand hin wird sie durch niedrige, weiß und blau gestrichene Zaunlatten begrenzt. Daneben noch eine kleinere Terrasse mit Sonnenschirmen. Man merkt, der Ausbau der Bar ist in ein paar Schritten erfolgt.
Thomas Carlyle sehe ich nirgends. Dafür zieht mich der Duft, der vom Holzkohlengrill ausgeht, geradezu magisch an. Mein Taxifahrer gesellt sich zu ein paar Männern, die an einem der sonnengeschützten Tische ganz nahe der Bar sitzen und mit Hingabe und denselben Gesten, wie ich sie daheim von Karten spielenden älteren Männern kenne, Dominosteine aneinander reihen.
Die Bar selbst besteht aus einem quadratischen Raum, der nach drei Seiten hin ab Brusthöhe offen ist, sauber lackierte Holzbretter bilden die Theke. Die Hocker davor sind ebenfalls aus Holz, genauso Marke Eigenbau, mindestens zehn, zwölf Menschen umlagern die Bar, auch einige Tische sind besetzt. Weiße im Badekostüm, eine Frau mit Nabelpearcing am schlaff gewordenen Bauch, aber auch Business-Leute der Insel mit gelockerter Krawatte, dunkler Hose und schneeweißem Hemd.
„Unsere Besucher sind ziemlich vielfältig“, sagt Carlyle hinter mir.
Ich drehe mich lächelnd um. Er hat sich umgezogen und trägt jetzt ein weinrotes, kurzärmliges Baumwollhemd und helle Leinenhosen. Aber ihm steht ja sogar die dunkelblaue Hoteluniform.
„Das kann man wohl sagen. Großartig ist es hier. Und der Duft …“
„Meine Mutter ist eine wunderbare Köchin, sie ist berühmt auf der Insel.“
„Eine berühmte Familie.“
Er wehrt bescheiden ab. „Soll Ihnen meine Mutter eine Portion Huhn bringen?“
„Es ist Huhn, das so großartig riecht?“
„Sie hat eine ganz besondere Art, es zu marinieren. Sie sollten aber auch ihr Chicken Rosemary kosten. Das wird zuerst gegrillt und dann in der Pfanne fertig gemacht. Die Sauce ist ein Gedicht.“
Ich bin sowieso schon wieder hungrig.
„Ich sollte nicht so viel essen“, murmle ich. Obwohl: Der schwarze Wickelrock macht mich einigermaßen schlank.
„Doch“, meint Carlyle, „und danach reden wir.“
Zuerst einmal wird er freilich von seiner Mutter begrüßt, sie kommt aus der Bar gelaufen, küsst und umarmt ihn, als hätte sie ihn jahrelang nicht gesehen. Dabei muss sie sich gewaltig strecken, ihr Sohn überragt sie um gut zwei Köpfe. Aber etwas an ihr macht sofort klar: Die Frau mit dem T-Shirt über dem runden Bauch und den halblangen weißen Hosen hat Autorität. Sie
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