Karibik all inclusive: Ein Mira-Valensky-Krimi
die Linie erreicht, an der sich Meer und Himmel treffen.
Carlyle hat meinen Blick gesehen. „Kommen Sie!“ Er zieht mich mit sich, Richtung Meer. „Hier kann man den Sonnenuntergang besonders gut sehen, und wenn Sie Glück haben, dann gibt es heute sogar etwas ganz Besonderes: das grüne Licht. Für Sekundenbruchteile, bevor die Sonne endgültig versinkt, leuchtet am Horizont das grüne Licht.“
Auch andere Menschen kommen von der Bar an den Strand. Manche von ihnen mögen schon hunderte solcher Sonnenuntergänge gesehen haben, aber es gibt ein paar Dinge auf der Welt, die immer wieder neu sein können.
Der Himmel färbt sich zart lila, der riesige orangegoldene Ball taucht ein ins Meer, es ist silberblau, violett, rosa, es glüht auf, als der gleißende Ball untertaucht, und: Ein grünes Strahlen, the green flash, grünes Licht über dem Horizont, im nächsten Augenblick vorbei, wie nie gewesen, und die Sonne endgültig im Meer versunken. Ich nicke nur, sagen kann ich nichts, einige freuen sich lauter.
Carlyle hat mir die Hand auf die Schulter gelegt. „Man kann wahrscheinlich argumentieren, dass es sich um eine optische Täuschung handelt, ein Trugbild, das bei bestimmten Wetterbedingungen entstehen kann, nachdem man zu intensiv in die Sonne geschaut hat, aber wer muss es wissen? Manchmal sollte es uns reichen, etwas Schönes zu genießen.“
Ich nicke noch einmal. Ein Mann mit kanadischem Englisch ärgert sich darüber, dass genau im richtigen Moment der Fotoapparat versagt hat.
„Das grüne Licht lässt sich nicht fotografieren, Ray“, versichert ihm Carlyle, als wir alle zur Bar zurückgehen.
„Du als Studierter wirst doch nicht an den Inselhokuspokus glauben.“
„Doch.“
Thomas Carlyle bittet seine Mutter um zwei rum punch.
„Sie trinkt keinen Tropfen Alkohol, aber sie macht den besten rum punch der Welt.“
Das kann ich nur bestätigen, natürlich macht es auch die Atmosphäre, von der Gesellschaft gar nicht zu reden, aber der rum punch im Luxushotel war nicht halb so gut.
„Wenn es sich ausgeht, helfe ich meiner Mutter beim Zusammenpacken, sie hat keinen Führerschein, irgendjemand muss sie und ihre Kochtöpfe zurück in die Stadt bringen. Und ihr Mann hat momentan leider ein Gipsbein.“
„Ihr Vater?“
„Nein, mein Vater ist … keine Ahnung, wo. Sie hat einen neuen Mann gefunden und meine beiden kleinen Halbgeschwister sind von ihm. Er hilft ihr hier.“
Rosemary nickt und stemmt ihre kräftigen braunen Arme auf die Tiefkühltruhe. „Tom ist ein ganz Braver, ein Schatz, auf ihn bin ich stolz. Wissen Sie, dass er Wirtschaft studiert hat? In Amerika?“
„Und er ist Olympiadritter geworden.“ Es sollte nicht spöttisch klingen.
Rosemary nickt und strahlt. „Tom, mein Schatz, kannst du rasch den Boden fegen? Ich trage die ersten Container zum Auto.“
Ihr Star fegt und ich helfe Rosemary trotz heftiger Gegenwehr, große Plastikgefäße zu einem weißen Pick-up zu schleppen.
„Ich koche zu Hause vor“, erzählt sie, „man muss alles vorbereiten, hier habe ich viel zu wenig Platz. Und keine Elektrizität. Deswegen ist die Kühltruhe für die Getränke voll mit Eis. Müssen wir natürlich auch herfahren. Ich stehe nie nach fünf Uhr auf, deswegen werde ich jetzt müde. Heute war ein anstrengender Tag.“
So viel Betrieb war auch wieder nicht, denke ich.
„Das Kreuzfahrtschiff. Mehr als hundert Leute für drei Stunden, das ist eines von den guten Schiffen, es ankert am neuen Pier vor Oldtown und die Passagiere werden mit Bussen zu den Stränden gebracht. Wenn man genug Busfahrer kennt …“ Sie lächelt verschmitzt. „Wenn man genug von ihnen kennt, bringen sie einem die Touristen. Aber die brauchen dann alle auf einmal Liegestühle und Schirme und etwas zu trinken. Die Konkurrenz schläft nicht. Andere Schiffe ankern direkt in dieser Bucht und die Touristen werden mit Beibooten zum Strand gebracht. Das ist ein viel schlechteres Geschäft: Ein paar der Kreuzfahrtgesellschaften haben alles, selbst die Sonnenschirme, mit, und sie veranstalten Picknicks oder bauen richtig große Büfetts auf. Da habe ich nicht viel davon.“
Tom kommt mit zwei Kochtöpfen. „Meine Mom versteht mehr von Wirtschaft als ich.“
Rosemary lacht und schüttelt den Kopf. „Aber ich hab gelernt durchzukommen.“
Ray, der Kanadier, bestellt noch zwei Carib-Bier. „For theRoad“, sagt er dazu. Rosemary kramt sie aus einer der Kühltaschen, die schon im Pick-up sind.
Ray, so erzählt mir
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