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Karibik Träume... und zwei Leichen

Karibik Träume... und zwei Leichen

Titel: Karibik Träume... und zwei Leichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Terbrack
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etwas musste es in der Colonia Tovar geben. Eine Siedlung in den Bergen, Mitte des neunzehnten Jahrhunderts von Emigranten aus dem Schwarzwald gegründet. Erst in den Sechzigern wurden asphaltierte Zugangsstraßen gebaut. Nun, eine dieser Straßen beginnt in La Victoria!
      Früher lebten die Menschen dort oben ziemlich isoliert und betrieben Ackerbau und Viehzucht. So hat sich auch ihre ursprüngliche Sprache erhalten. Ihr Alemannisch hat mit unserem modernen Hochdeutsch nicht unbedingt viel gemein. Aber interessant zu hören, wie man vor hundertfünfzig Jahren gesprochen hat. Es gab auch einen Ehrenkodex, nachdem sich die Tovaren nicht mit „Einheimischen“ vermischen durften. Das Ergebnis kann sich jeder selbst vorstellen. Erst mit der Straße kamen frisches Blut und Besucher und neue Bewohner. Da der Ort nicht viel Abwechslung bietet und die moralischen Standards hoch sind, erzählte mir eine Bekannte, die hier einige Jahre gewohnt hat, besteht die Hauptfreizeitgestaltung aus Fremdgehen.
     
      Ich klopfte also Paolo aus dem Bett und schwatzte ihm den Blazer ab. Nachdem wir die Außenbezirke von La Victoria verlassen hatten, wurde die Straße schmaler und wand sich in Serpentinen durch die Berge. Manchmal waren die Kurven so eng, dass ich zurücksetzen musste, um herum zu kommen. Der Straßenbelag schien seit dem Bau nicht erneuert worden zu sein. Überall tiefe Schlaglöcher und Abbruchkanten an den Rändern. Daneben ging es abenteuerlich steil hinab. Begrenzungen oder Leitplanken? Fehlanzeige. Über Kilometer hinweg nur Platz für ein Fahrzeug. Wenn uns jetzt nur niemand entgegenkam. Wir näherten uns einem vollbesetzten Amischlitten. Sonntagsausflug mit der Familie. Quälend langsam rauchte er vor uns her. Überholen konnten wir nicht. Aber selbst wenn, viel schneller hätten wir sowieso nicht fahren können. Nach etwa einem Drittel der Strecke beschlossen wir auf einem Plateau Pause zu machen. Genug Abgase geschluckt. Wir gaben der Karre Vorsprung. Wir stiegen aus genossen die Ruhe und den Blick in das weite Tal und sahen den Paraglidern zu, die sich hier versammelt hatten. Die Thermik der Hänge ausnutzend zogen sie majestätisch ihre Kreise. So müssen sich Adler vorkommen. Leuchtende Augen und strahlendes Lächeln bei den Gelandeten. Sie waren eins mit der Natur und genossen das Glücksgefühl der absoluten Freiheit.
      „So etwas musst du erst einmal schätzen lernen,“ sagte Thorsten irgendwann.
      Ich blickte ihn fragend an.
      „Wahrscheinlich musst du erst ganz bestimmte Erfahrungen machen, um so `was überhaupt wahrzunehmen.“ Er bot mir eine Marlboro an und gab mir Feuer, die Flamme durch seine hohle Hand geschützt. Dann schüttelte er sich eine aus der Schachtel. Er drehte sich von mir weg, um das Feuerzeug in Gang zu bringen. Nach einigen Versuchen hatte er es geschafft. Ich kickte einen Stein den Abhang hinunter und sah ihm nach.
      „Eine bestimmte Reife oder ein bestimmtes Alter, meinst Du?“ fragte ich ihn. Ich musste meine Hand über die Augen halten, während ich ihn ansah, da die Sonne mich blendete.
      „Reife, ja. Aber die erlangst du durch Erfahrungen. Das hat nichts mit dem Alter zu tun.“ Er blickte dem Qualm nach. „Dann freust du dich über Kleinigkeiten und nimmst Dinge wahr, an denen du früher einfach vorbeigelaufen bist. – Du lebst intensiver. Verstehst Du?“
      „So reden Leute, die dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen sind.“ Ich musste an den Herzinfarkt meines Alten denken.
      „Oder Leute, denen man gesagt hat, dass sie sterben könnten.“
      „Warst Du schon in so einer Situation?“ fragte ich so beiläufig wie möglich. Ich wusste ja nicht, worauf er `raus wollte und wollte ihm nicht zu nahe treten. Andersherum, vielleicht war ihm nach Quatschen zumute.
      Er nahm einen tiefen Zug. „Ich hatte `mal eine schwere Operation. Vor drei Jahren.“
      Ich sah ihn unter meiner Hand hindurch an, in der Hoffnung er würde weiterreden.
      „Operation am offenen Herzen. Fing harmlos an. Ich hatte Rhythmusstörungen. Du kennst das vielleicht. Untersuchungen mit Ultraschall, Langzeit-EKG, Tabletten. Das Standardprogramm.“
      Ich nickte. Nicht, dass ich Rhythmusstörungen für harmlos hielt, aber ich wusste, was er meinte.
      „Dann, als es nicht besser wurde, kamen sie irgendwann um die Ecke und meinten, dass es notwendig wäre zu operieren.“ Er sah in die Ferne. „Bei allen Operationen hast du das, was sie ein Restrisiko nennen,

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