Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
unter Umständen der Schnaps sprach, tat mir seine Aufmunterung in der Seele gut.
»Schau doch morgen mal bei uns vorbei«, bat ich ihn.
»Bin den ganzen Tag beschäftigt.«
»Dann halt nach der Arbeit ... zum Abendessen.«
»Geht nicht. Ich habe um acht Uhr einen Termin beim Psychiater.« Er sprach das Wort so aus, als käme ihm die Galle hoch, was meiner Freude jedoch keinen Abbruch tat.
»Na, wie wär’s dann mit Samstag? Da sind wir noch frei.«
»Ich melde mich.«
Ich legte auf und trat ans Fenster. Mac, der den Gehweg und die Fläche vor der Eingangstür im Erdgeschoss freigelegt hatte, schaufelte nun Schnee von der Vordertreppe. Ohne groß zu überlegen, öffnete ich die Haustür und verkündete: »Ich habe eben mit Billy gesprochen. Er ist auf einen Drink im Brooklyn Inn und hat gefragt, ob du eventuell Lust hast, zu ihm zu stoßen.« Das war faustdick gelogen, aber wen kümmerte das? Es würde den beiden Männern guttun, sich zu treffen, und außerdem konnte Billy bei der Gelegenheit ein gutes Wort für mich einlegen.
Mac lehnte die Schaufel ans Geländer und klatschte in die Hände, damit sich der Schnee von den Handschuhen löste. »Danke. Ich mache mich auf den Weg, sobald ich hier fertig bin.«
Kurze Zeit später machte Mac sich auf den Weg zum Brooklyn Inn, während Ben und ich uns an den Küchentisch setzten und zu essen begannen. Anschließend badete ich Ben, las ihm vor und brachte ihn ins Bett. Ich schmökerte im Schlafzimmer in einem Buch, als ich endlich hörte, wie unten die Tür aufging.
»Karin!« Mac, der wesentlich fröhlicher klang als vor ein paar Stunden, stapfte ein paarmal energisch auf der Vordertreppe auf und eilte den Flur hinunter. Besorgt setzte ich mich auf und drehte den Kopf erwartungsvoll Richtung Tür.
»Was ist denn?«
Von der Kälte war sein Gesicht gerötet, und seine Augen funkelten. Obwohl er zwar ein paar Drinks intus hatte, war er nicht betrunken.
»Morgen holen sie sie aus dem künstlichen Koma. Billy hat eben den Anruf erhalten.«
»Wen?«, entfuhr es mir. Doch natürlich wusste ich, von wem er sprach. Es gab nur eine Person, deren Aufwachen solch eine Begeisterung rechtfertigte: Abby Dekker.
KAPITEL 13
Kurz nachdem Abby die Augen aufgeschlagen hatte, trafen wir ein. Ihrem leeren Blick und ihrer ausdruckslosen Miene, mit der sie sich in ihrem Zimmer umschaute, entnahm ich, dass sie keine Ahnung hatte, wo sie sich befand oder was geschehen war. Den Kopfverband hatte man ihr abgenommen. Seit der Rasur war auf ihrem Kopf blonder Flaum nachgewachsen.
Sasha Mendelsohn, die sich um Abbys Wohlergehen kümmerte, stand an der Wand, hielt ein Klemmbrett an ihre Brust gedrückt und lächelte unsicher, während sich ein Arzt über Abbys Bett beugte. Der auf Neurologie spezialisierte Kinderarzt war groß, hatte einen grauen Haarkranz und hieß – sein Name war auf den weißen Kittel gestickt – Daniel Alter-Jones. Neben Sasha Mendelsohn warteten zwei Assistenzärzte mit Namensschildern am Revers. Ihnen gegenüber, auf der anderen Seite des Bettes, stand ein weiterer Kinderarzt. Er war klein, korpulent und rothaarig und hieß Mark J. Miller.
Billy betrat den Raum und nickte den Anwesenden auf eine Art zu, die erkennen ließ, dass sie sich heute nicht zum ersten Mal begegneten. Mac und ich blieben hingegen im Eingang stehen; offiziell hatten wir hier nichts zu suchen. Glücklicherweise signalisierte mir Sasha Mendelsohns Blick, dass sie mich hier duldete. Doch sie musterte Mac, der ihr fremd war, skeptisch und trat zu uns.
»Wer sind Sie?«, fragte sie ihn.
Wir gingen in den Flur, wo wir uns leise unterhielten.
»Das ist mein Mann, Mac MacLeary«, sagte ich. Ihr Blick, der von meinem Gesicht zu seinem wanderte, wurde weicher. »Mac ist Privatdetektiv. Wir arbeiten zusammen. Und wie es der Zufall will, kannte Mac Abbys Vater, Reed Dekker.«
Nun blickte Sasha ihn neugierig an. »Kennt Abby Sie?«
»Nein«, entgegnete Mac. »Ihr Vater und ich gingen in dasselbe Fitnessstudio. Er war ein guter Kerl.«
»Die Kleine kennt keinen der Anwesenden.« Sasha zögerte und sah unsicher zur Tür hinüber. »Wir hoffen, dass die Campbells bald eintreffen. Wir müssen unbedingt in Erfahrung bringen, inwieweit Abbys Gehirn wieder arbeitet, was sich aufgrund ihrer inneren Anspannung äußerst schwierig gestaltet.«
»Wo steckt Pater X?« Sein wenig einprägsamer, mutmaßlich griechischer Nachname war mir entfallen, doch an »X« konnte ich mich erinnern.
»Er liegt auf der
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