Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
mal auf den Silvestertrubel einstellte.
Ben sprang aus dem Taxi, erstürmte den nächstbesten Schneeberg und rutschte auf den Gehweg hinunter, der von einer dünnen Schicht Neuschnee überzogen war. Als er Anstalten machte, die vereisten Stufen hochzusteigen, ließ Mac seinen Koffer fallen, packte Bens Kapuze und dirigierte ihn zum unteren Eingang. Ich folgte mit meinem Rucksack und dem anderen Koffer. Innerhalb der letzten Tage hatte das Zerwürfnis wegen Dathi bei uns ein unerträglich höfliches Schweigen hervorgerufen. Er nahm seinen Koffer auf, stellte ihn in den Flur, schnappte die Schaufel und begann, den Bürgersteig freizuschippen. Ich lehnte die Tür an und folgte Ben ins Haus.
Kaum hatte er sich von seinen matschigen Schuhen und der Jacke befreit, flitzte er in sein Zimmer und begann zu spielen. Ich ging nach oben, um die Post durchzusehen, die sich während unserer Abwesenheit angesammelt hatte. Draußen hörte man, wie Mac in gleichmäßigem Rhythmus den Gehweg vom Schnee befreite. Wie konnte ich ihn nur davon überzeugen, dass Dathis Rettung keine seltsame Laune, sondern eine Notwendigkeit war? Ich brauchte ihn auf meiner Seite. Auch wenn die Chance, dass sie an Neujahr in New York landete, meines Erachtens eher gering war, lag mir viel daran, dass sie, falls sie kam, von der ganzen Familie und nicht nur von Ben und mir willkommen geheißen wurde. Wegen der juristischen Probleme – ihre Mutter war tot, und sie kam unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ins Land – machte ich mir vorerst keine Sorgen. In erster Linie ging es mir darum, sie in die Vereinigten Staaten zu holen. Hoffentlich begriff Mac bald, wie unerlässlich und uneigennützig meine Mission war.
Bei einem orientalischen Restaurant in der Smith Street bestellte ich etwas zu essen, und während wir darauf warteten, rief ich Billy an. Falls La-a und George ihn immer noch verdächtigten, roch Billy inzwischen sicherlich den Braten.
»Bist du wieder daheim?« Er klang müde. Oder er hatte einen leichten Schwips.
»Wo bist du?«
»Sitze an der Bar im Brooklyn Inn.«
»Wie war dein Weihnachtsfest?«
»Den ersten Weihnachtsfeiertag habe ich bei meiner Schwester gefeiert. War ganz nett. Und bei dir?«
»Sehr schön. Ich bin gern mit meiner Familie zusammen. Wir haben viel Zeit am Strand verbracht.«
»Du hast mir doch eine Kiste Sonnenschein mitgebracht, oder?«
Ich hörte, wie Eiswürfel aneinanderstießen und er schluckte.
»Na, habt ihr den Killer endlich erwischt?«, fragte ich scherzhaft. Wäre der Mörder dingfest gemacht worden, hätten wir das auch in L. A. mitgekriegt.
»Könnte durchaus sein.«
Mir verschlug es fast die Sprache. »Wie bitte?«
»Wir nehmen Pat Scott ganz genau unter die Lupe.«
»Hat das Labor etwas gefunden, das ihn mit Chali in Verbindung bringt?«
»Das Ergebnis steht noch aus.«
»Inzwischen sind fast drei Wochen vergangen!«
»Tja, Weihnachten wird halt nur auf Sparflamme gearbeitet ...«
Er hatte recht: Um diese Jahreszeit dauerte alles doppelt so lange wie sonst.
»Jetzt kommt etwas, das dich freuen wird: Gestern konnten wir Antonio Neng, den Stalker, einbuchten. Wir haben einen Richter aufgetrieben, dessen Begeisterung für Weihnachten sich in Grenzen hält und der uns prompt einen Durchsuchungsbeschluss ausgestellt hat. In seiner Wohnung haben wir Waffen und ein Tagebuch gefunden, das sich wie eine Todesliste liest.«
»Banker?«
»Durch die Bank.« Er kicherte.
»Kann die Spurensicherung ihm nachweisen, dass er im Haus der Dekkers war?«
»Wie schon gesagt, wir müssen uns da noch etwas gedulden. Die Labortypen erholen sich gerade von Weihnachten und sind vermutlich schon eifrig dabei, ihre Silvesterpartys zu planen.«
»Wie geht es Abby Dekker?«
»Immer noch im Koma.«
»Tut mir leid.«
»Ja, mir auch.«
»Schaut dieser Pfaffe immer noch bei ihr vorbei und liest ihr vor?«
»Tag für Tag.«
»Bestimmt kommt sie bald wieder zu Bewusstsein.« Ich hielt kurz inne. »Nun, ich habe auch Neuigkeiten«, sagte ich und erzählte ihm von Dathi.
»Wow, Karin. Mann ... echt klasse.« Wieder klickende Eiswürfel und Schluckgeräusche.
»Danke. Um ehrlich zu sein, kann ich etwas Unterstützung gut gebrauchen.«
»Dann ist Mac also nicht mit an Bord, hm?«
»Er redet von Kidnapping.«
Billys schallendes Gelächter wirkte ansteckend.
»Hm, du musst tun, was du tun musst, Karin. Und es sähe dir gar nicht ähnlich, wenn du dich einfach zurücklehnst und abwartest.«
Auch wenn aus ihm
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