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Karl der Dicke beißt sich durch

Karl der Dicke beißt sich durch

Titel: Karl der Dicke beißt sich durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schrader
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Karl.
    „Also“, sagte Guddel und begann.
    „London: Hund rettet Baby vor heranrasendem Lastwagen.
    Trier: Sechsundachtzigjähriger Rentner entdeckt vergrabenen Goldschatz aus der Römerzeit in seinem Garten.
    Warschau: Frau fällt aus dem siebten Stock eines Hochhauses auf Omnibus, ohne sich zu verletzen.
    Visselhövede: Kinder bringen 3 Kilo schweren Steinpilz nach Hause.
    Edinburgh: Dachdecker gewinnt eine Million Pfund im Toto, schenkt alles einem Krankenhaus und läßt sich als Pfleger anstellen.
    Und nun die beiden letzten:
    Rom: Junge Frau bringt neunzehntes Kind zur Welt, einen gesunden Jungen von 7 Kilogramm.
    Bombay: Großgrundbesitzer verteilt Geld und Gut an die Armen und wird Prediger.“
    Guddel ließ den Block sinken und blickte auf.
    „Wie gefällt euch das?“ fragte er.
    Karl und Egon starrten ihn fassungslos an.
    „Das ist ja kaum zu glauben“, stammelte Karl schließlich. „Wo haste denn diese dollen Meldungen her? Sind hier so viele Ausländer vorbeigekommen? Das ist ja alles international!“
    Guddel strich sich übers Kinn.
    „International muß es j a wohl auch sein, wenn es interessant sein soll“, sagte er. „Meldungen über den Nachbarn und den Mann aus der Nebenstraße dürften kaum genügend Leser finden.“
    „Ja, ja, das ist richtig“, stimmte Karl zu. „Aber wie um alles in der Welt bist du an diese knackigen Brocken gekommen?“
    „Die hab’ ich mir ausgedacht“, sagte Guddel und lächelte. „Nichts davon ist wahr. Alles eigene Erfindung.“
    „Ausgedacht?“ rief Egon. „Ich glaub’, mein Schwein pfeift! Das kannste doch nicht machen! Dann sind das doch Falschmeldungen! ‘ ‘
    „Na, und?“ fragte Guddel. „Was macht das schon! Die Hauptsache ist doch, daß sie dieselbe positive Wirkung hervorrufen wie echte Meldungen. Außerdem ist das, was ich eben vorgelesen habe, irgendwo auf der Welt bestimmt so oder so ähnlich tatsächlich passiert. Bei drei Milliarden
    Menschen auf der Erde kann man beinah schreiben, was man will, es trifft immer irgendwie zu. Nur kommt es meistens nicht in die Zeitung.“
    „Hm“, sagte Egon, „aber du hast Ortsnamen genannt! Da kann doch jeder deine Meldungen überprüfen!“
    „Natürlich“, gab Guddel zu, „jeder kann es. Aber wer tut es schon? Politische Nachrichten, ja, die zweifelt man gelegentlich an, aber Meldungen über Pilze, gefundene Schätze und so weiter, die glaubt man schlicht.“
    „Ich weiß nicht recht“, sagte Karl, „bringen wir nicht das ganze Zeitungswesen in Verruf, wenn wir uns alles so aus den Fingern saugen?“
    „Ach was!“ entgegnete Guddel. „So wahr wie das, was die Leute uns erzählen, ist das allemal. Und außerdem ist diese Art der Berichterstattung nicht meine Erfindung, die gibt es schon seit man Zeitungen druckt. Also können wir gar nichts in Verruf bringen.“
    Egon zog seine langen Füße ein, weil eine alte Dame fast darüber gestolpert wäre, schlug seinen Notizblock auf und kritzelte etwas hinein.
    „Guck an“, rief Karl, „jetzt hat sogar Egon einen Einfall gehabt!“
    „Gut beobachtet“, sagte Egon. „Aber ich habe mir keine Meldung ausgedacht, sondern einen neuen Titel für unsere Zeitung. Wir nennen sie zwar weiterhin ,Das Bessere’, fügen aber als Untertitel hinzu: ,Interessantes, Neues, Einmaliges, wie es sich ereignet hat oder sich ereignet haben könnte’. Das ist ein Freibrief für uns. Wenn wir das im Titel haben, können wir schreiben, was wir wollen, und keiner kann uns eine Lüge vorwerfen.“
    „Ich weiß nicht“, meinte Karl. „Irgendwas schmeckt mir an der Sache nicht. Am besten ist es wohl, wenn wir uns mal drei, vier Tage nicht um die Zeitung kümmern. Wir sind
    jetzt an einem kritischen Punkt angelangt und brauchen Abstand. In einer Woche sehen wir alles viel klarer.“
    „Okay!“ rief Guddel. „Machen wir mal ‘ne Pause. Heute ist es zum Nachdenken ohnehin zu heiß. Kommt, wir fahren heim, holen unsere Badehosen und gehen schwimmen!“
     

 
    Am Wochenende mußte Guddel mit seiner Mutter nach Wilhelmshaven fahren, wo sein Großvater wohnte, während Egon mit den Eltern und seinem kleinen Bruder Peter an einer Zweitagefahrt in den Harz teilnahm.
    Karl der Dicke, dessen Eltern sich zu Hause erholten, langweilte sich furchtbar ohne seine Freunde. Als Sonntag nachmittag der Western im Fernsehen zu Ende war und das Radio nichts als Evergreens aus den zwanziger Jahren brachte, kletterte er auf sein Fahrrad und fuhr spazieren.
    Es war sehr warm.

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