Karl der Dicke & Genossen
New York.“ Mr. Jesson schüttelte den Kopf. „Wie kann sein ein kleiner Mann so berühmt? Mein Großvater ist total verrückt.“
Die drei Jungen feixten sich an.
„Wenn Sie noch in die Böttcherstraße wollen“, sagte Karl, „die ist gleich da drüben. Aber ich verrate Ihnen schon im voraus, so groß wie der Broadway ist sie nicht...“
„Let’s go!“ sagte Mr. Jesson. „Wenn ich habe gesehen Roland und Böttcherstraße, dann ich kenne Bremen.“ Langsam schlenderten sie über den Marktplatz.
„Der Dom“, nahm Egon plötzlich das Wort, „den Sie linker Hand sehen, ist auch ganz einmalig. In seinem Keller liegen nämlich so zwölf bis fünfzehn Leichen, die überhaupt nicht verfaulen. Die sollten Sie unbedingt mitnehmen!“
Mr. Jesson blieb erstaunt stehen.
„Mitnehmen?“ fragte er. „Was soll ich mit zwölf bis fünfzehn Leichen? Eigenartig, was ihr Leute in Deutschland alles verkauft!“
„So habe ich das nicht gemeint“, sagte Egon. „Ich meine, daß Sie sich die Leichen ansehen sollten.“
„Go away, no!“ rief Mr. Jesson unwillig. „Sehe ich mir lieber an Menschen, die leben. Denn Leichen sind so entsetzlich tot.“
Mittlerweile waren sie vor der Böttcherstraße angekommen. Mr. Jesson betrachtete interessiert den vergoldeten Ritter Georg am Eingang, der just dabei war, dem Drachen einen seiner Köpfe abzuschlagen.
„Ganz aus Gold“, rief er anerkennend, „was für ein teurer Mann.“
Dann gingen sie in die Böttcherstraße hinein.
Mr. Jesson blickte nach links und nach rechts, schüttelte den Kopf und wunderte sich. Für die architektonischen Besonderheiten der Straße hatte er kein Auge. Die eingemauerten Aquarien indessen ergötzten ihn köstlich. Von den Fischen hatten es ihm besonders die dicken Karpfen angetan, die träge auf der Stelle standen und ab und zu eine Luftblase aus ihrem runden Maul hervorblubberten.
Als Karl merkte, daß sein Kunde endlich etwas gefunden hatte, was ihn beeindruckte, sagte er: „Der Karpfen da hinten wiegt einen halben Zentner. Er ist schwerer als alle amerikanischen und unverkäuflich.“
„Dear me!“, staunte Mr. Jesson.
„So“, sagte Karl, „das wär’s im übrigen. Wir möchten uns jetzt von Ihnen verabschieden. Ich hoffe, Sie waren mit unserer Führung zufrieden.“
„O ja, indeed“, sagte Mr. Jesson, ohne seinen Blick von den langweiligen Karpfen zu nehmen, „vielen Dank.“
Karl sah seine Freunde dringend an. Wollte der Banause ihnen nicht mal ein paar Mark in die Hand drücken? Fast eine Stunde hatten sie ihm geopfert, dafür konnten sie eine Kleinigkeit verlangen. Das wollte Karl ihm schon plausibel machen. Also zupfte er den Langen am Ärmel und sagte: „Haben Sie sonst noch einen Wunsch, Sir?“
„No, no, vielen Dank“, antwortete Mr. Jesson, während er dem dicken Karpfen ein Liebeslied an die Scheibe trommelte.
„Sie brauchen uns also nicht mehr?“ fragte Egon mit vor Empörung zitternder Stimme.
„No, thank you, ich finde meinen Weg allein jetzt.“
„Okay“, sagte Karl kaltblütig, „dann können wir ja abrechnen. Wir haben Sie zu dritt eine Stunde lang geführt, das macht genau drei Mark.“
„Drei Mark?“ fragte Mr. Jesson und wandte sich ab vom Aquarium.
Er drückte Karl ein blankes Fünfmarkstück in die Hand. „Ist das genug für die kleine Roland und die kleine Böttcherstraße?“ fragte er.
„Na ja“, antwortete Karl, „es ist nicht zuviel, aber es reicht hin. Ihre Stadtführer danken.“ Zufrieden schlenderten sie zurück zu ihren Rädern.
Über eine Stunde fuhren sie schweigsam hintereinander, beobachteten sich gegenseitig dabei, um herauszufinden, ob jeder das scharfe Tempo durchhalten könne, und setzten trotz der ersten Schweißtropfen ein Gesicht auf, als seien sie in der Lage, hundert Kilometer so weiterzujagen.
In einem kleinen Ort duftete die ganze Straße nach frischem Kuchen. Das war ein willkommener Anlaß, eine kleine Pause einzulegen.
„Haltet mal an“, rief Karl, „ich glaub’, ich hab’ wieder Hunger!“
Sie stellten ihre Räder an die Bäckerei und betraten den duftenden Laden, in dem eine junge Verkäuferin hantierte. Karl fragte, was eine Platte Butterkuchen koste.
„Mann“, sagte Guddel, „tut’s eine halbe nicht auch?“
„Tja“, antwortete Karl, „ich möchte mich da nicht festlegen. Mein Hunger hat schon ein beträchtliches Ausmaß erreicht, der ist so leicht nicht zu stillen. Aber vielleicht bescheidet sich Egon mit weniger.“
„Ich esse
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