Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
hochkomplizierte Uhr, zwei große Kandelaber aus vergoldeter Bronze. Und auch diesmal sollen wieder Tiere dabei gewesen sein: Von Affen berichten die Chronisten, ohne ihre Anzahl zu melden.
Wie Abu al-Abbas seine restlichen Lebensjahre im kühlen Norden zubrachte? Wie andere mittelalterliche Herrscher wird auch Karl eine Menagerie gehabt haben – bei Untertanen und Besuchern machen exotische Geschöpfe immer Eindruck. Wer auch immer Zeit und Gelegenheit dazu hatte, wird versucht haben, einen Blick auf den Tiergiganten zu werfen – Sensationslust ist schließlich keine Erfindung der Neuzeit.
Wissbegierige wie der kluge irische Mönch Dicuil sahen Abu al-Abbas auch als Studienobjekt. So konnte der Gelehrte im 9 . Jahrhundert mit der seit der Antike weitverbreiteten Mär aufräumen, Elefanten hätten keine Kniegelenke und könnten nur im Stehen schlafen. Unsinn, schrieb Dicuil: »Es ist sicher, dass sie sich wie Rinder hinlegen, wie die Bewohner des fränkischen Reiches an jenem Elefanten zur Zeit Kaiser Karls sehen konnten.«
Abu al-Abbas’ letzte Reise liefert noch einen Hinweis, dass er nicht immer in Aachen blieb. Denn der Tod ereilte ihn in Lippeham, dem heutigen Wesel am Niederrhein. Dort musste sich Karl wieder einmal marodierenden Normannen entgegenstellen; der Dickhäuter sollte wohl den nordischen Kriegern Angst einjagen. Stattdessen verbreitete in jenem Sommer 810 die Maul- und Klauenseuche unter den Franken Furcht und Schrecken. Sie raffte die mitreisende Rinderherde bis auf das letzte Tier hinweg; auch Abu al-Abbas dürfte zu den Opfern gezählt haben. Nüchtern konstatieren die Reichsannalen den »plötzlichen Tod« des Rüsseltieres – als habe man bei Hofe ein letztes Mal Gelassenheit demonstrieren wollen über das Prachtgeschenk aus dem Morgenland.
Von der Macht verblendet
Hätten Karl der Große und Irene von Byzanz geheiratet, wäre ein riesiges Gesamtreich entstanden. Aber die Kaiserin scheiterte an ihrem Ehrgeiz.
Von Angelika Franz
Wohl niemand hätte ihr leichtfertig einen Heiratsantrag gemacht. Mit 46 Jahren – wenn man ihr Geburtsdatum mit 755 ansetzt – war Irene von Athen nach den Maßstäben des frühen Mittelalters eine alte Frau. Von ihrer einstigen Schönheit werden nicht mehr viele Zähne und Locken übrig gewesen sein. Kinder waren von ihr auch keine mehr zu erwarten. Eine gute Mutter war sie ohnehin nie gewesen, hatte sie doch ihren einzigen Sohn Konstantin VI . blenden lassen, als der ihren Regierungsgeschäften in die Quere kam. Überhaupt war sie keine Frau, die ihren Ehemann im Alter liebevoll umsorgt hätte. In 22 Jahren auf dem Thron des Oströmischen Reiches hatte sie zur Genüge bewiesen, dass Härte und Strenge ihr mehr lagen als Milde und Nachsicht. Und dennoch hielt Karl der Große nach seinem Aufstieg zum Kaiser um die Hand dieses Weibes an, obwohl er seine eigene genauso gut in einen Dornenbusch hätte stecken können. Wer war diese Frau aus dem Osten, um die der Imperator warb – trotz aller offensichtlichen Argumente, die gegen diese Wahl sprachen? Und was trieb ihn zu dem ungewöhnlichen Eheprojekt?
Neu war die Idee einer Verbindung der Karolinger mit Byzanz im Jahr des Heiratsantrages 801 nicht mehr. Schon 765 hatte Karls Vater Pippin seine Tochter Gisela – eine Schwester Karls – dem oströmischen Thronanwärter Leo versprochen. Doch die Verlobung hielt nur ein Jahr, bevor sie aufgelöst wurde. Gisela ging ins Kloster, und Leo heiratete stattdessen – Irene von Athen. Den zweiten Versuch einer Liaison unternahmen die beiden Häuser in der Generation der Kinder. Irene sicherte ihrem Sohn Konstantin VI . die Hand von Rotrud, Karls ältester Tochter aus seiner Ehe mit Hildegard. Als der Verlobungsvertrag unterzeichnet wurde, war Rotrud gerade einmal sechs Jahre alt, ihr künftiger Ehemann elf. Einige Jahre lang sah es so aus, als sollte es diesmal ernst werden mit der Heirat. Irene schickte den Eunuchen Elissaios zu ihrer angehenden Schwiegertochter an den fränkischen Hof, wo Rotrud fortan fleißig mit ihm Griechisch pauken und die Details des byzantinischen Hofzeremoniells lernen musste. Dem jungen Konstantin soll seine Braut im fernen Westen gefallen haben – obwohl er sie vermutlich nie zu Gesicht bekam. Doch dann wurde Karl in Süditalien aktiv und kam damit der byzantinischen Provinz Kalabrien gefährlich nahe.
Ob Karl es fortan für besser hielt, seine Tochter enger bei sich zu behalten, oder ob Irene das fränkische Mädel nun als unpassende
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