Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
aus Italien stammende Staufer zum König salben und bestieg den altehrwürdigen Thron, der noch heute in der Marienkirche steht. Für die Gebeine des heiligen (oder seligen) Karl wurde ein prunkvoller Sarg aus Eiche und vergoldetem Metall angefertigt. Friedrich II. legte am 27 . Juli 1215 selbst Hand an, wie ein Mönch aus Lüttich aufgeschrieben hat: »Er nahm einen Hammer, legte seinen Mantel ab, bestieg mit dem Aachener Werkmeister ein Gerüst und verschloss vor aller Augen fest den Schrein, indem er gemeinsam mit dem Meister Nägel einschlug.«
Auch heute noch ist die Tradition der Karlsverehrung ungebrochen. Papst Benedikt XVI . hat den Heiligenkult für einige Orte anerkannt, Gedenktag ist der 28 . Januar, das Datum seines Todes. Neben Aachen hält vor allem Frankfurt am Main seinen Karl in Ehren; die Stadt wird zum ersten Mal 794 anlässlich einer von ihm einberufenen Synode in einer Urkunde erwähnt (»Franconofurd«). Seit fast 700 Jahren strömen die Gläubigen alljährlich zum Karlsamt im Frankfurter Kaiserdom zusammen; sie füllen die Kirchenbänke zu diesem Anlass wie heute nur noch selten. Schmuck anzusehen sind während der Messe die Ritter vom Orden des Heiligen Grabes, die in historischen Gewändern einmarschieren. Im Januar 2012 war es ein hoher Gast aus Rom, der die Predigt hielt, Erzbischof Rino Salvatore Fisichella, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung. Die heutige Welt, sagte Fisichella, brauche Menschen, die das Evangelium »auf eine neue Weise verkünden«. Durch die weihrauchgeschwängerte Luft hallten lateinische Gesänge wie die Karlssequenz. In einer der Strophen heißt es: »Er ist der große Herrscher, der Sämann der guten Frucht und der kluge Landmann. Er bekehrt die Ungläubigen, beseitigt die Tempel der Heidengötter und zerbricht die Götzenbilder.« Held bleibt Held.
Dass Friedrich Barbarossa auf die Idee verfallen war, Karl heiligzusprechen, hing vor allem mit dem aufstrebenden Nachbarland zusammen. Im Frankreich des 11 . und 12 . Jahrhunderts gelang es der Kapetingerdynastie, das Land zu einer kraftvollen Monarchie zu formen. Die deutschen Könige konnten da kaum mehr mithalten, obwohl ihnen als römischen Kaisern der höchste Rang unter den Herrschern ihrer Zeit zukam. Die selbstbewussten Franzosen nahmen den großen Ahnen geschickt für sich in Anspruch. König Ludwig VI . erhob die rot-goldene Oriflamme, angeblich die Kaiserfahne Karls des Großen, 11 24 zur französischen Kriegsfahne. Das Krönungsschwert der Kapetingerkönige galt als Waffe des fränkischen Imperators. Die Heiligsprechung von Aachen 1165 war der Versuch, etwas dagegenzusetzen: Karl, diese starke geschichtspolitische Kraftquelle, sollte nicht allein Frankreich überlassen bleiben.
Leicht war das nicht. Denn schon zu Barbarossas Lebzeiten hatte einer der größten Erfolge des literarischen Mittelalters seine enorme Wirkung entfaltet: ein altfranzösisches Versepos namens »Chanson de Roland«, das zu den Heldenliedern (Chansons de geste) zählte. Der historische Kern des Rolandsliedes handelt von dem gescheiterten Feldzug Karls 778 gegen die Sarazenen. Auf ihrem Rückzug geriet die fränkische Nachhut in einen Hinterhalt der Basken und erlitt massive Verluste. Anführer der Nachhut war möglicherweise ein Markgraf Hruotland, dessen Name dann zu Roland wurde. In dem nach ihm benannten Epos wird Roland zum tragischen Helden, weil er in höchster Bedrängnis in sein elfenbeinernes Signalhorn Olifant bläst, um Karls Heer zu Hilfe zu rufen. Als der Herrscher schließlich eintrifft, ist sein treuer Gefolgsmann bereits im Kampf gefallen. Die im Rolandslied beschriebene Liebe zu »France dulce«, dem süßen Frankreich, »wurde zur emotionalen Parole für die Einheit von König, Land und Volk der Franzosen« (so der Historiker Joachim Ehlers).
Im Namen Karls wurden auch Urkunden gefälscht. In einem Machwerk des Klosters Saint-Denis, das aus dem 12 ./ 13 . Jahrhundert stammt, findet sich die angebliche Verfügung des Herrschers, Saint-Denis sei das geistliche Oberhaupt seines Reiches, wo alle seine Nachfolger gekrönt werden sollen. Die ziemlich plumpe Fälschung diente auch als Spitze gegen die Karlstradition der deutschen Könige, die Aachen zu ihrem Krönungsort erwählt hatten. Französisch-deutsche Querelen um den großen Ahnen ziehen sich durch die Jahrhunderte. Meist ging es nach der Maxime: Mein Karl gehört mir. So strebte die ohnehin schon traditionsreiche Universität
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