Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
allem in zweierlei: Karls Eintreten für die römische Kirche und seine Erneuerung der Intellektualität.
SPIEGEL: Was ist an Karls Unterstützung des Papstes so epochal?
FRIED: Leo III. war wegen schwerster Vergehen angeklagt. Hätte Karl einen Prozess zugelassen, wäre die westliche Kirche in große Gefahr geraten. Der Reinigungseid des Papstes, seine Allianz mit Karl, den er zum Kaiser krönt, dem er dann aber auch Paroli zu bieten vermag, haben den Katholizismus gerettet und die Stärke Roms bis heute gesichert.
SPIEGEL: Und was meinen Sie mit Erneuerung der Intellektualität?
FRIED: Dass Karl für die Wiederentdeckung und Sicherung antiken Bildungsguts sorgte. Die Logik des Aristoteles zum Beispiel, das Fundament kategorialen Denkens mit seinen Fragen nach dem Wer, Was, Wie, Wo und Warum: Jetzt wurden die elementarsten, auf Latein verfügbaren Teile abgeschrieben und gelehrt, in allen Schulen. Manuskripte wurden kopiert. Wir kennen von der antiken Literatur ohnehin nur Reste und Glanzstücke, aber ohne karolingische Abschriften würden wir noch erheblich weniger besitzen. Auch die Spezialisten, die einen verlässlichen Kalender erarbeiten wollten, hat Karl gefördert.
Leo III. und Karl zu Füßen des Apostels Petrus.
Die Ende des 8. Jahrhunderts vom Papst beauftragte Darstellung richtet sich gegen den Anspruch des weltlichen Herrschers, höher zu stehen als die geistliche Macht.
Rekonstruiertes Mosaik im Lateran in Rom
Christel Gerstenberg/Corbis
SPIEGEL: So weit, so weitblickend. Aber konnte dem machtbewussten Frankenherrscher all das nicht nur gelingen, weil sein Thron dank Vater und Großvater schon leidlich stabil war?
FRIED: Stabil war da nicht allzu viel. Jeder Regent musste sich unentwegt in der Familie, unter den Franken, gegen die konkurrierenden Fürsten und natürlich gegen äußere Feinde behaupten.
SPIEGEL: Immerhin hatte Karl Martell ruppig die Herrschaft durchgesetzt, so dass dann Pippin das nominelle Merowinger-Regiment beenden und mit päpstlichem Segen König werden konnte.
FRIED: Trotzdem konnte sich ein König nur durch dauernden militärischen Erfolg halten. Niederlagen durfte es nicht geben, wenigstens nicht zu oft. Als Karl 778 in Spanien scheitert oder 787 in Süditalien, setzt er gleich nach der Rückkehr alles daran, seine Schlappe zu verschleiern. 778 veröffentlicht er etwa sofort ein großes Reform-Kapitular und zieht außerdem gegen die Sachsen.
SPIEGEL: Politische Aktionen als Demonstration eigener Stärke?
FRIED: Allerdings. In den »Annales Regni Francorum«, der wichtigsten Chronik dieser Zeit, die vermutlich unter Karls direkter Aufsicht entstand, sind vor seinem Regierungsantritt fast nur Feldzüge verzeichnet – Könige mussten nun mal siegreiche Krieger sein. Niederlagen finden auch später praktisch nicht statt. Mit dem, was wirklich geschehen ist, hat der Text oft kaum mehr etwas zu tun; er ist fast reine Propaganda.
SPIEGEL: Wer drei Jahrzehnte lang gegen die Sachsen kämpft, kann das doch nicht als Sieg verkaufen!
FRIED: Aber allmählich zeigte Karls nachhaltige Brutalität mit Massenhinrichtungen und Zwangsmissionierung eben doch Wirkung.
SPIEGEL: Wie hielt das riesige Gebiet, das die Franken kontrollierten, überhaupt zusammen? Hatten nicht, sobald Karl einer Region den Rücken kehrte, lokale Mächte wieder die Oberhand?
FRIED: Das gibt es. Als Karl in Spanien verlor, brachen die Sachsen prompt von Norden her ins fränkische Gebiet ein, begannen Priester zu massakrieren und Klöster zu zerstören …
SPIEGEL: So rasch lief die Nachricht durch Europa?
FRIED: O ja, Boten waren schnell. Eine Gegend, wo der König nicht ist, wird sofort zur Peripherie, ist also in Gefahr. Darum setzt Karl schon seit 781 Söhne als Unterkönige ein. Als Ludwig der Fromme in Aquitanien antreten muss, zählt er gerade drei Jahre – aber wichtig ist eben die Hofmannschaft, die aus loyalen fränkischen Großen besteht. Für Italien übernimmt Karls Sohn Pippin in Verona die gleiche Aufgabe. Immer sind auch Kirchenleute dabei.
SPIEGEL: Hatte Karl überhaupt eine territoriale Vision von dem, was er kriegerisch erreichen wollte?
FRIED: Eine Vorstellung hatte er wohl. Anfangs wollte er die Königsherrschaft im übernommenen Gebiet sichern, dann den Reichsteil des Bruders ebenso behaupten – das bedeutet vor allem, den dortigen Adel beherrschen – und die Grenze halten.
SPIEGEL: Er verfolgte also Teilziele?
FRIED: Zunächst ja. Wie langfristig erfolgreich das war, zeigt
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