Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Rabanus selbst überrascht haben, beruft ihn doch derselbe Ludwig, der wenige Jahre zuvor seine Absetzung als Abt betrieben hatte. Aber Ludwig will sich offenkundig mit dem früheren Gegner aussöhnen.
Noch 850 taucht Rabanus in den Fuldaer Annalen als besonderer Wohltäter auf. Unter diesem Jahr, in dem eine Hungersnot die Menschen in Teilen des Reiches quält, ist vermerkt: »Es hielt sich aber zu der Zeit der Erzbischof Raban auf einem Hof seines Sprengels auf, wo er Arme aufnahm und täglich mehr als 300 speiste.«
Im Februar 856 stirbt Rabanus Maurus und wird im Kloster St. Alban bei Mainz beigesetzt. Schon bald verehren ihn die Menschen als Heiligen.
Rabanus selbst sah sich vor allem als Mönch. In seiner von ihm selbst verfassten Grabinschrift heißt es demütig und gelassen: »Obwohl ich sie immer in Unsicherheit und nicht bleibend bewohnte, war die Mönchszelle für mich der willkommene Aufenthalt.«
TEIL VI
DER NIEDERGANG
Jäger des Verderbens
Ludwig der Fromme hatte kühne Ideen für das Frankenreich. Doch sein Nachfolgeplan beschwor genau den Zerfall herauf, den er abwenden wollte.
Von Mathias Schreiber
Wie das wohl zu ertragen war: Sohn und Nachfolger von Karl dem Großen zu sein, dem »Patriarchen« des europäischen Kontinents, einem der wenigen »Vollstrecker der Weltgeschichte«, so der Historiker Leopold von Ranke? Ludwig, den die Nachwelt »der Fromme« nennt, wird im Sommer 778 in Chasseneuil östlich von Poitiers als dritter von vier legitimen Söhnen des Frankenherrschers geboren – aber schon seine frühen Jahre sind seltsam.
Sein Vater regiert zwar ein gewaltiges Reich, ist aber nicht willens oder imstande, bei der Geburt seiner Zwillinge Ludwig und Lothar zugegen zu sein. Karl muss an allen Fronten aufpassen: Kaum hat er im Süden die Langobarden bezwungen, da setzen ihm im Norden wieder einmal die Sachsen zu – 778 inszeniert Herzog Widukind einen seiner blutigen Aufstände. Doch Karl sieht in den Ersuchen des muslimischen Emirs von Barcelona um Beistand gegen seinen Glaubensbruder in Córdoba eine Chance, seinen Machtbereich auszuweiten. Er bricht zum Feldzug nach Nordspanien auf. Die Kampagne wird dummerweise ein Desaster. Mittendrin bringt Karls Frau Hildegard ein Kind zur Welt, dem lange niemand zutrauen wird, einmal eines der stärksten Imperien dieser Welt zu beherrschen: Ludwig, dessen Zwillingsbruder Lothar wenige Monate später stirbt.
Eine unbeschwerte Kindheit ist dem Jungen nicht vergönnt: Schon als knapp Dreijähriger wird er im Tragstühlchen bis Orléans geschafft, dort mit Kinderrüstung und Kinderschwert ausgestattet und auf ein Pferd gesetzt. So reitet er ins südwestfranzösische Aquitanien ein, als Unterkönig einer Region, die sich zwischen der Loire und den Pyrenäen, der Rhône und dem Atlantik erstreckt und lateinisch geprägt ist. Schon Cäsar hatte die Gegend »Aquitania« genannt; Karl der Große stufte den Landstrich an der Grenze zum sarazenisch beherrschten Spanien vom Herzogtum zum Königreich hoch, um diese Südflanke seines Reichs zu stabilisieren.
Zum Osterfest des Jahres 781 werden Ludwig und sein älterer Bruder Karlmann, die Söhne Karls aus der Ehe mit der Alamannin Hildegard, in Rom von Papst Hadrian I. gesalbt und gekrönt. Bei der Gelegenheit tauft man Karlmann auf den Königsnamen Pippin. Der erbrechtlich konkurrierende, missgestaltete Halbbruder desselben Namens, genannt »Pippin der Bucklige«, wird durch die Herabstufung seiner Mutter Himiltrud zur Konkubine ausgebootet.
Während also das neukonstituierte Unterkönigreich Aquitanien an Ludwig geht, darf Karlmann alias Pippin Unterkönig im langobardischen Italien werden. Aquitanien, wo fränkische Grafen und aus Spanien vertriebene Goten die Führungsschicht bilden, soll unter Ludwig enger an die Kandare des Hofs genommen werden – auch um es zu wappnen gegen muslimische Invasionen. Zugleich ist so das Aufmarschgebiet für eine mögliche fränkische Expansion Richtung Spanien bereitet, wie sie später ( 801 ) auch stattfinden wird. Ludwigs Inthronisation könnte – so anscheinend Karls Kalkül – Aquitaniens selbstbewusste Aristokratie mit der fränkischen Fremdherrschaft versöhnen: Der neue Unterkönig ist zwar Franke, doch aus Aquitanien gebürtig. Ludwig wird auch dort erzogen, lernt den gotisch-galloromanischen Sprachmix und kleidet sich nach Art des Landes: Der rundliche Mantel, die Puffärmel, die bauschigen Hosen und die extra lang gespornten Stiefel amüsieren bei
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