Karl der Große: Der mächtigste Kaiser des Mittelalters - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
zahlreichen Flussmündungen ideale Einfallsmöglichkeiten fanden. 843 plünderten sie Nantes und brachten den dortigen Bischof um. Ein Jahr später drangen sie auf der Garonne nach Toulouse vor. Sogar bis Paris kamen die wilden Nordmänner mit ihren Drachenschiffen. Damit sie wieder abzogen, musste Karl ihnen 7000 Livres zahlen.
Dennoch setzte er sich durch, ja er ließ sich 8 75 gar als Erbe des italienischen Teils von Lothars Mittelreich in Rom zum Kaiser krönen. Italien verlor er zwar wieder an einen Sohn seines Bruders Ludwig, aber das Frankenreich im Westen hatte als Einheit Bestand. 987 , als die Dynastie der Kapetinger die Herrschaft übernahm, gilt als Geburtsjahr des heutigen Frankreichs.
Ludwigs Territorium umfasste im Osten hinter Rhein und Aare die erst unter Karl dem Großen eroberten und christianisierten Gebiete der Sachsen – eine wilde, größtenteils von Wäldern bedeckte Landschaft, wo die Menschen in weit auseinander liegenden Gehöften lebten. Zusätzlich erhielt Ludwig noch die Gebiete um die Bischofsstädte Mainz, Worms und Speyer im alten Zentrum des Reichs, denn der Osten brauchte eine wirtschaftlich starke Region mit gefestigter Verwaltung. Abseits dieser wohlhabenden Gebiete hatte auch Ludwig mit Unheil von außen zu kämpfen: Zwar blieben die Bewohner seines Reichs bis auf einen verheerenden Angriff der Wikinger auf Hamburg 845 verschont, doch von Osten drohten die Böhmen. Auch berichten die Annalen von Xanten von einer Hungersnot in Sachsen im Jahr 853 : Die Menschen hätten »das Fleisch ihrer Pferde« essen müssen. Aber Ludwigs Machtehrgeiz richtete sich eher gen Westen. Im Vertrag von Meerssen sicherte er sich die Hälfte von Lothars Mittelreich.
Anders als Karl im Westen verfügte Ludwig in seinem Testament, dass das Ost-Reich nach alter Frankensitte unter seinen Söhnen aufgeteilt werde. Die Folgen waren gravierend: Während im heutigen Frankreich schon früh ein vereintes, von Paris aus kontrolliertes Königreich entstand, entwickelte sich der Osten in den folgenden Jahrhunderten zu einem Konglomerat verschiedener Fürstentümer und Königreiche, mal fest, mal lose vereint unter dem Zepter des Kaisers. So ging es bis 1806 , dann erlosch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Erst als nun der Nationalismus erwachte und die Deutschen sich an ihre gemeinsamen Wurzeln erinnerten, bekam Ludwig seinen Beinamen »der Deutsche«. Noch 194 2 schrieb der Historiker Martin Lintzel, der kein Nationalsozialist war, im Vertrag von Verdun sei »der Wille des deutschen Volkes zur Selbständigkeit zum Durchbruch gekommen«.
Das war ein krasser Anachronismus, denn weder Ludwig noch Karl fühlten sich den Bewohnern ihres Landes als einer Völkerschaft verpflichtet. In Verdun ging es allein darum, jedem der drei Brüder einen ungefähr gleich großen, lebensfähigen Reichsteil zuzuweisen – die Entstehung der Nationen war Spätfolge, nicht Ursache dieser Teilung.
Die Straßburger Eide
Um 844 verfasste Nithard, ein unehelicher Enkel Karls des Großen, für Karl den Kahlen ein zeitgeschichtliches Werk. Darin schildert er, wie Karl und Ludwig (»der Deutsche«) sich 842 gegen ihren Bruder Lothar verbündeten: ein unschätzbares Zeugnis für den damaligen Sprachstand.
So kamen am 14. Februar Ludwig und Karl in der Stadt, welche einst Argentaria genannt wurde, jetzt aber gemeinhin Straßburg heißt, zusammen und schwuren die unten verzeichneten Eide, Ludwig in romanischer, Karl in deutscher Sprache. Und ehe sie schwuren, redeten sie so das versammelte Volk, der eine in deutscher, der andere in romanischer Sprache an; Ludwig aber als der Ältere fing an und sprach:
»Wie oft Lothar mich und diesen meinen Bruder nach dem Tode unsers Vaters verfolgt und bis zur gänzlichen Vernichtung zu verderben gesucht hat, wißt ihr [...]. Jener aber [...] hört nicht auf, mich und diesen meinen Bruder [...] mit feindlicher Macht zu verfolgen, und richtet unsere Völker mit Brand, Raub und Mord zugrunde; deshalb sind wir jetzt von der Not gedrängt zusammen gekommen, und da wir glauben, daß ihr an unserer beständigen Treue und unveränderlichen brüderlichen Liebe zweifelt, haben wir beschlossen, diesen Eid zwischen uns vor euren Augen zu schwören. [...] Wenn ich aber, was fern sei, den Eid, welchen ich meinem Bruder schwöre, zu brechen mich vermesse, so spreche ich einen jeden von euch vom Gehorsam und dem Eide, welchen ihr mir geschworen habt, los und ledig.«
Und als Karl gleiche Worte in
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