Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
St. Peters Entlastung von Sünden, vom Verwandtenmord? Zustimmung zu seiner dritten Ehe? Suchte er gar die Wirklichkeit jenes Rombildes, das er seit seinen Knabenjahren im Herzen trug?
Hadrian war erstaunt und erschrocken, als der Franke mit großem Gefolge, doch ohne Heer nach Rom vorrückte, so bestätigte seine Lebensbeschreibung im «Liber Pontificalis». Kein Langobardenkönig hatte die Stadt je betreten dürfen; Desiderius war im kurzen Augenblick des Einvernehmens mit dem apostolischen Stuhl nur bis St. Peter vor den Mauern vorgedrungen. Karl aber nahte als «Freund», als «Patricius der Römer». Ihm durften die Tore nicht verschlossen bleiben. Allein schon, daß Karl mit Heeresmacht im Langobardenreich erschienen war, hatte dem Papst die freiwillige Unterwerfung Spoletos und Rietis, auch Fermos, Anconas, Osimos und der Bewohner von Città di Castello eingebracht. Die lang erstrebte eigenständige Herrschaft schien sich zu realisieren. Sah sie sich nun durch den Franken gefährdet? Wie also den König und
Patricius Romanorum
empfangen?
Der Papst mußte eilends ein Zeremoniell improvisieren und griff dazu auf das Protokoll zur Einholung des Exarchen zurück, des Vertreters des oströmischen Kaisers in Ravenna. Dreißig Meilen vor die Stadt eilten die
Iudices
mit den Fahnen dem Kommenden entgegen, am ersten Meilenstein erwartetenihn die Scholen der Miliz und die Knaben samt ihren Lehrern. Mit Palm- und Ölzweigen, mit Laudes und Akklamationen begrüßten sie den Fremden «wie es üblich ist, den Exarchen oder den Patricius zu empfangen». Aus Ehrfurcht vor den Kreuzen stieg Karl vom Pferd und begab sich mit seinen Großen zu Fuß nach St. Peter. Dort erwartete ihn der Papst mit dem gesamten römischen Klerus und Volk. Karl aber stieg die Treppen zur Kirche empor, indem er jede einzelne Stufe küßte. Im Atrium umarmten Papst und König einander; der König ergriff die Hand des Papstes; gemeinsam betraten sie die Apostelkirche. «Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn!», so sang der Klerus, während Hadrian und Karl zur Confessio über dem Grab des Heiligen strebten und Gottes Macht anriefen, «daß er ihnen durch die Hilfe des Apostelfürsten den Sieg gewähre» [ 33 ].
7 Kästchen von Samogher (bei Pola in Istrien, heute Venedig, Museo archeologico). Die Imagination in der Mitte gilt als Darstellung des Ziboriums (mit Hetoimasia) von Alt Sankt Peter und wird dem 5. Jahrhundert zugeschrieben.
Dann bat der König den Pontifex, die Stadt betreten zu dürfen; so überliefert der «Liber pontificalis» und nur er. Hadrian mußte einwilligen. Wechselseitig schwuren beide einander Sicherheit, erneuerten vermutlich bei dieser Gelegenheit das
Pactum
, den Freundschaftsvertrag, den einst Karls Vater Pippin mit Stephan II. geschlossen hatte. Danach hielt der Frankenkönig und Patricius der Römer seinen Einzug in der Stadt. Am Karsamstag des Jahres 774 stand er oben auf dem Celio, einem der «sieben Hügel» Roms,innerhalb der ewigen Stadt – 274 Jahr nach dem Gotenkönig Theoderich dem Großen, der als letzter Barbarenherrscher, und 112 Jahre nach Konstanz II., der als letzter Kaiser Rom betreten hatte. Trotz aller bezeugten Freundschaftsbeteuerung: Es war eine Demütigung der Stadt und ihres Bischofs, die seit Jahrhunderten keinen fremden Herrscher in ihren Mauern geduldet hatten. Deutlicher, für jeden Römer sichtbar, wer immer die Straßen säumte, konnte sich der eingetretene Umbruch nicht manifestieren.
Karl kam von der Apostelkirche, wo er bei S. Petronilla Quartier genommen hatte, war über die Tiberbrücke beim Mausoleum des Kaisers Hadrian (der Engelsburg von heute) geritten, rechts vorbei am
Circus Flamineus
(der Piazza Navona), links unterhalb des Kapitols, quer durch die Stadt, kam geritten über das Forum, vorbei an S. Maria Antiqua zur Rechten, an Titus- und Severus-Bogen, am Konstantins-Bogen, am Kolosseum zur Linken, vorbei an S. Clemente, an den trutzigen Quattro Coronati, ritt den letzten, steilen, von Weinbergen begleiteten Anstieg hoch auf den Celio, grüßte dort (den vermeintlichen) Konstantin auf seinem Roß, der da als eherner Herrscher gebot, sah sich um auf dem weiten Platz, dem
campus Lateranensis
, sah, was – wie er glauben durfte – von dieses Kaisers
Palatium
die Jahrhunderte überdauert hatte, stieg vom Pferd und begab sich mit seinem kleinen Gefolge in das porphyrprunkende Oktogon des kaiserlichen Taufbades, wo er den Taufen und der anschließenden Firmung durch
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