Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
Apulien ausgedehnt, nach Pannonien vorgeschoben; Karl hatte sich mit Heeresmacht am Ebro gezeigt, hatte auch die größten Anstrengungen unternommen,um die eigene geistige Kultur auf eine vergleichbare Höhe mit Griechen und ‹Sarazenen› zu heben; endlich trachtete er nach der Kaiserkrone.
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Karls Welt
arl wuchs in eine Welt hinein, die sich vielerorts im Umbruch befand. Die Hochkulturen am Mittelmeer bildeten zu seiner Zeit religiös keine Einheit mehr, auch wenn sie wirtschaftlich keineswegs völlig auseinanderdrifteten. Die Vielfalt der Kulturen, die sich seit dem 7. Jahrhundert auszubilden begannen, förderten und beschleunigten diesen Wandel; der interkulturelle Austausch ließ nicht lange auf sich warten. Schon in Karls Zeit setzte er – wenn auch eher zaghaft – ein. Die das Frankenreich umgebenden Nachbarn, Sarazenen, Angelsachsen, Dänen, Slawen, Awaren, Griechen – sie bildeten Karls Welt, über die ihm Wissen zufloß, in derer sich bewähren und mit seinem Königtum bestehen mußte, in die er mit seinem Handeln eingriff und die er tatsächlich verändern sollte.
Die noch entlegeneren Regionen der «Alten Welt» lagen für die Franken zu fern, als daß sie sich ihren Horizonten erschlossen. Aus antiken Werken verfügten sie wohl über den einen oder anderen Namen, ohne ihn doch mit einer eigentlichen Landeskunde verbinden zu können. Hinweise auf Persien, Indien oder eben Samarkand – Kulturregionen, deren Wirkungen unmittelbar, wenn auch unbemerkt in die westliche Welt ausstrahlten – fehlten, von seltenen Ausnahmen abgesehen, bei den Autoren der Karlszeit, von Sibirien, Mongolei, China oder Japan ganz zu schweigen. Diese Regionen waren nicht einmal den antiken griechischen oder lateinischen Geographen geläufig.
Die großen Umbrüche in China wirkten sich zwar indirekt auch auf den Westen aus, führten zu Völkerwanderungen, die – wie unlängst mit den Hunnen und den Awaren – erst im Westen endeten, aber ein Wissen über die Ursachen solcher Völkerbewegungen besaß man hier nicht, nicht einmal eine Ahnung. Umgekehrt kümmerten sich die Chinesen nicht um den äußersten Westen, von dem sie eine so geringe Vorstellung besaßen wie derselbe von ihnen; selbst die Geschehnisse in Arabien und dem Vorderen Orient waren ohne Belang für das Reich der Mitte. Die Intensität des wechselseitigen Wissens war gering, zufällig und fragmentarisch, bestenfalls durch Händler vermittelt.
Entsprechendes gilt für Afrika südlich der Sahara. Auch wenn arabische Händler nach Sansibar vorgedrungen sind, auf der Jagd nach Sklaven, Gold und Elfenbein den Kontinent betreten haben und bald in sein Inneres vorstießen, so besaßen die Franken davon nicht die geringste Kenntnis. Die Entwicklungen dort entziehen sich weitgehend noch dem modernen Historiker. Selbst Ägypten war den Franken – abgesehen von biblischen Reminiszenzen – unbekannt; und das Geschehen im Maghreb, so unmittelbar es auch das Frankenreich angehen mochte, blieb ausgeblendet. Dort aber, an Afrikas Küsten, regte sich mit den Berbern eine der Zentralregierung in Bagdad entgleitende Herrschaftsbildung. Nur das Geschehenin Spanien entging den Franken nicht völlig. Nicht zuletzt nach Gallien emigrierte «Goten» informierten auch den fränkischen König über die Entwicklung südlich der Pyrenäen. Von dort, auch über Italien drangen kulturelle und technische Innovationen aus der arabischen Welt nach dem christlichen Norden.
Erkennbar betroffen sah sich Karl von diesen Entwicklungen nach Auskunft der Überlieferung nicht. Das Nähergelegene forderte Karls Aufmerksamkeit. An sämtlichen Grenzen seines Reiches wurde er tatsächlich militärisch aktiv, drohend, erobernd, grenzsichernd und durch Austausch von Gesandtschaften. Konstantinopel, Jerusalem, Bagdad, Kairouan, kaum Córdoba, wohl aber Toledo rückten mit den Jahren in das Gesichtsfeld seiner Franken. Zunächst freilich dominierte der Krieg; und er richtete sich gegen die nächsten Nachbarn.
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Italien ruft
arl jedenfalls war gewarnt. Er wechselte die Seiten und war nun der natürliche Verbündete des Papstes, der Gegenspieler des Desiderius; er erkundigte sich in Rom besorgt, ob derselbe die früher zugesagten Restitutionen an den hl. Petrus und die Römer, wie versprochen, tatsächlich eingehalten habe, und drohte ihm, als die Antwort negativ ausfiel[ 23 ]. Der Karolinger suchte offenkundig eine definitive Entscheidung; er legitimierte sie mit einer neuerlichen Hilfsbitte
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