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Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)

Titel: Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Fried
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Differenzbestimmungen und dergleichen eingeübt, bevor im hohen Mittelalter der große, welthistorisch relevante Durchbruch erzielt wurde. Es war der wichtigste Modernisierungsschub, den das frühere Mittelalter eingeleitet hatte; er sollte sich bis zur heutigen Gegenwart auswirken. Am Hof Karls des Großen aber hatte diese Entwicklung begonnen. Alkuin hatte einen entscheidenden Anstoß gegeben. Voll stolzer Bescheidenheit präsentierte schon Einhard, ein Schüler des gelehrten Angelsachsen, sein Karlsleben. Es war ein «Buch» (Substanz), doch nicht irgendeines (Differenzbedarf), sondern eines, das von «bewundernswerten Taten» (Proprium) in «elegantem Latein» (Akzidens) berichtete (Kategorie des Handelns).
    Immer wieder bedrängte der König Alkuin mit astronomischen Fragen, über das Mondalter und den Mondsprung, über die Planeten, über den Durchgang des Mondes durch den Zodiak, über die Bedeutung der erneuten Sichtbarkeit des Mars und anderes. Alkuin verwies auf das Werk des jüngeren Plinius, zitierte dasselbe aber wohl nach Beda. Eigens handelte er – im September 798 – über den eben, im vergangenen Juli/August (als die Sonne im Sternbild Löwe stand) wieder am Himmel erschienenen Mars, «dessen Erforschung unseren Geist schon lange beschäftigt; nicht einmal sein Wiedererscheinen vermag unsere Neugier zu stillen»[ 128 ]. In der Tat, Karl stellte unermüdlich Fragen. Ob dieser Wandelstern eine eigene Bahn ziehe oder der Macht der Sonne folge, wollte er wissen. Hatte er doch selbst seinen neuerlichen Aufgang beobachtet: «Geschah es aufgrund der Kraft (der Sonne) oder als Vorzeichen, daß er die Bahn zweier Jahre in einem vollendete? Begleitete er die Sonne, wie war dann sein schneller Lauf möglich?» Die ‹Schleifen› des Planeten beunruhigten den König.
    Alkuins Antwort wich aus. Die Bahn des Planeten folge zwar seiner «natürlichen Ordnung», doch diese zu erklären unternahm der gelehrte Mann keinen Versuch. Immerhin bestritt er ihre Bedeutung als Vorzeichen. Hegte Karl astrologische Befürchtungen? Suchte der König den Zusammenhang zwischen Kosmos und Erde zu erfassen? Wie immer, seine Frage nach dem Mars behielt die nächsten 800 Jahre ihr Gewicht. Erst dann, als auch die Mathematiker gerüstet waren, sammelte Tycho Brahe systematisch die Daten der Marsschleifen, vermachte seine Tabellen testamentarisch seinem Kollegen am Hof des Kaisers Rudolf II., Johannes Kepler, der mit ihrer Hilfe die vier nach ihm benannten Gesetze entdeckte und berechnete, denen die Bahnen und Bewegung der Planeten um die Sonne folgten.
    Weder Astronomie noch Astrologie stützten sich zu Karls Zeit auf eine breite Überlieferung. Sie waren mit keiner Grammatik und keiner Dialektik zu erfassen. Sie bedurften eines naturkundlichen Wissens, das zu Karls Zeit im lateinischen Westen noch spärlicher verbreitet war als jene ‹trivialen› Disziplinen. Nur wenige, insgesamt eher dürftige Lehrbücher, an ihrer Spitze Cassiodors «Institutionen», die den Stoff mehr andeuteten als darstellten, waren aus der Antike überkommen.
    Von ihnen, den Bildungslehren der alten Griechen und Römer, erbte das Abendland die Teilung menschlicher Fähigkeiten in «freie» und «mechanische Künste». Für frei galten jene Disziplinen, die ohne Handarbeit zu verfolgen waren und keinen Brotberuf verlangten. Sie setzten in der Regel den freien, wohlhabenden Bürger voraus, für dessen Lebensunterhalt ein Heer von unterschiedlich abhängigen Leuten sich plagen mußte. «Mechanisch» war alles, was der Hände bedurfte wie etwa die Chirurgie oder die Medizin, die Jagdkunde, die Seefahrt, der Handel und jedwedes Gewerbe. Sie wurden denn auch nicht auf den Schulen gelehrt; erst im Zeitalter der Universitäten sollte es sich ändern.
    Die «freien Künste» waren ihrerseits unterteilt in Trivium und Quadrivium. Das antike Programm dieser sieben «freien Künste» wurde offiziell nie aufgegeben. Unter Iren und Angelsachsen hielt es sich zum Teil in erweiterter Gestalt länger, auch unter Westgotenund Langobarden blieb die antike Bildung lebendiger als im Frankenreich. Hier schwand die Effizienz der Studien in den dunklen Jahrhunderten des Frühmittelalters, obgleich auch die Könige aus der Familie der Merowinger Latein konnten und zu lesen vermochten und auch unter dem Klerus manch ein gebildeter Mann noch anzutreffen war. Wissen und Fertigkeiten gingen aber insgesamt und aus mancherlei Gründen zurück. Erst jetzt, unter den ersten

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