Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
bald hier, bald da zu finden, eine Personengruppe mit dem König im Zentrum, die feste Herrschaftsmitte, ein Hort kirchlichen und kulturellen Wissens, eine Begegnungsstätte und Kommunikationsgemeinschaft, ein Mittelpunkt auch der wiedererstehenden Wissenskultur und Religionspraxis. Eine feste Hofgesellschaft gab es, von der engeren Königsfamilie und den erwähnten Funktionären abgesehen, nicht. Hunderte von Personen, bis ein- oder zweitausend Menschen versammelteder Hof: Männer, Frauen, auch kleine Kinder, Berater, Besucher, Herbeigerufene, Fremde, die Verwandten des Königs, die Ehefrau, Zofen, Söhne, Töchter, Ammen, Diener und Knechte und Köche, der ganze Troß. Zahlreiche Bewaffnete begleiteten den Hof, wohin immer er zog. Das alles wälzte sich von Zeit zu Zeit mit dem König durch die Lande, von Pfalz zu Pfalz. Von daher versteht sich, daß «
Palatium
» in erster Linie die Gesamtheit der Personen am Königshof meinte und nicht bloß die Baulichkeiten der Pfalz[ 31 ]. Und dennoch: Solches Reisen, notwendig wie es im personalen Herrschaftssystem zunächst war, wurde lästig mit der Zeit.
Die Fahrten durch das Reich wurden vom Hof aus geregelt. Man wußte an den zentralen Pfalzen – etwa in Worms, Ingelheim oder Aachen – wo sich der König gerade aufhielt. Der Reiseweg mußte rechtzeitig festgelegt werden, um die Masse an Pferden, Zugochsen und Menschen aufnehmen und verköstigen zu können, die mit dem König durch die Lande zogen. Als Alkuin im Jahr 797 wissen wollte, wann der König aus Sachsen zurückkehre und in welcher Pfalz er den Winter verbringen werde, wandte er sich an die Königin Liutgard[ 32 ]. Die Königin war ja, dem «
Capitulare de Villis
» folgend, für weite Bereiche der wirtschaftlichen Versorgung des Königshofes zuständig. Seneschall, Mundschenk und Stallgrafen hatten sonst die Fahrten des Königs durch das Reich zu organisieren und Vorsorge dafür zu treffen, daß überall ausreichende Vorräte an Getreide, Fleisch und Futter für Pferde und Ochsen zur Verfügung standen[ 33 ]. Wein mußte mitunter von weither herbeigeschafft werden, wenn der König sein Kommen angesagt hatte. Ganze Dörfer waren für die Transportdienste zuständig. Für die Unterkunft des Gefolges mußten oft genug Zelte herhalten. Welch ein Triumph an Organisation, Kontrolle und Anziehungskraft des Herrschers.
Die über das Reich gestreuten Königshöfe unterschieden sich nach Größe und Ausstattung, wohl auch nach ihrer Funktion, ob Festpfalz oder Jagdpfalz, ob nur für Durchreise eingerichtet oder für längere Dauer. Ihre Ausstattung läßt sich aus den «
Brevium exempla
» und dem «
Capitulare de villis
» erahnen, gleichgültig, ob dieses letzte für Karl oder seinen Sohn Ludwig galt. Auch die endlosenKriegszüge erforderten die hohe Beweglichkeit des Königs. Nur wenige Orte verfügten über die reichen Ressourcen, die nötig waren, um den König mit seinen Leuten für längere Zeit zu versorgen. Die Einrichtung der Königspfalzen ergab sich aus dem Bedarf des reisenden Hofes. Karl selbst kümmerte sich, wie wir sahen[ 34 ], um die Ausstattung dieser Pfalzen, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zumal der «Tafelgüter», die speziell zum Unterhalt des reisenden Königshofes, für den
discus
oder die
mensa regis
, reserviert waren. Des Königs Tafel und nur sie sollte regelmäßig ein Tischtuch schmücken. Die Tischdecke war Herrschaftszeichen.
Am Hof trat der König, der Hausherr, inmitten seiner Leute in Erscheinung, in schlichter fränkischer Tracht, wie Einhard ihn beschrieb (c. 23), in linnenem Hemd, linnener Hose, darüber eine seidengefaßte Tunica und das unvermeidliche Schwertgehänge[ 35 ]. Nur im Winter lag ein Pelz aus Ottern- oder Marderfell über Karls Schultern und schützte ein Mantel die Glieder vor der Kälte. Das Schwert mit Goldgriff und kostbarer Scheide fehlte nie. Dieser Hof befand sich stets, weil mit dem König wandernd, im Brennpunkt des Reiches, zog in den frühen Jahren ruhelos mit dem König durch die Lande, zumal in der engeren Francia, war somit multilokal. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten Karls des Großen und unter dessen unmittelbarem Nachfolger sah er sich – jedenfalls zur Winterszeit – zunehmend ortsfest an Aachen gebunden. Erst mit der Zeit änderte es sich, in dem Maße nämlich, in dem die Pfalz von Aachen in Karls späten Jahren als eine Art Dauerresidenz eingerichtet wurde.
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Die Erlöser- und Marienkirche in Aachen: Ein steingewordenes
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