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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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starr und verschreckt. Willem nahm die Koffer und Taschen seiner Schwiegermama. »Tschüs, Karla!«, sagte er über die Schulter hinweg. Ich sagte nichts.
    Das Schicksal nahm seinen Lauf.

Das Konzert habe ich nur noch in schemenhafter Erinnerung. Alles ging so schnell. Ich hatte eines von Maries gewagten Kleidern an, denn in der Eile hatte ich mir kein eigenes mehr kaufen können. Es hatte einen tiefen Ausschnitt, war in der Taille eng, fast gänzlich rückenfrei, natürlich bodenlang und schwarz wie die Nacht. Trotzdem beachtete mich niemand – ein Zustand, an den ich mich schon gewöhnt habe.
    Nervös wanderte ich vor dem Festspielhaus auf und ab und versuchte, nicht in die herum liegenden Pferdeäpfel zu treten. Die Herrschaften, die in das Konzert strömten, waren farbenfroh bis extravagant gekleidet. Die einheimischen Festspielhausbesucherinnen steckten alle in prallen, bodenlangen Dirndlkleidern, und die dazugehörigen Eingeborenen hatten tatsächlich Lederhosen an und trugen einen breitkrempigen Sepplhut unter dem Arm. Auch sie vermieden es souverän, mit ihren troddeligen Trachtenschuhen in die Pferdeflatschen zu treten.
    Die Menschen, die im ordinären Smoking mit weißer Fliege und blank polierten Lackschuhen erschienen, waren ebenso als ordinäre Touristen auszumachen wie die dazugehörigen Damen in fantasielosen Abendkleidern. Als schon zum dritten Mal das Klingelzeichen ertönte, erschien endlich Willem – im Smoking und mit weißer Fliege. Unendlich männlich und gepflegt sah er aus, wie er da am Arm seiner Schwiegermutter zwischen den Pferdehintern hindurch balancierte! Frau Pfefferkorn hatte einen lila Drachenumhang um, aus reiner Seide, mit vielen blitzenden Pailletten drauf. Sie sah exakt so aus wie die böse Königin der Nacht.
    Ich war stolz, mich diesen beiden eleganten Erscheinungen anschließen zu dürfen und fühlte mich bis auf die Knochen durchlaucht, als wir die kleine seitliche Loge besetzten, in der schon Echtwein, Zurlinde, Gernhaber, Holzauge und Siegmund Sterz saßen. Auch Robert, der Entenhalter, und Rainer, der Agentenheini, aus Düsseldorf drückten sich dort herum, was mich nicht weiter verwunderte. Wenn Marie einen Auftritt hatte, versammelte sie gern die Schar ihrer Jünger vollzählig um sich. Matulka sang im Chor, und Rosenmondt mit dt schrubbte das erste Cello.
    Alle sprangen auf und rückten zur Seite und gaben Frau Pfefferkorn einen Handkuss, bis auf Siegmund Sterz, der hob nur seine meterlangen Beine etwas an, damit wir ohne zu stolpern darüber steigen konnten. Ich versuchte, neben Willem einen Platz zu ergattern, was mir auch gelang. Frau Pfefferkorn setzte sich zwischen Echtwein und Zurlinde. Harald Gernhaber rutschte auf einen Notsitz im Hintergrund und Sterz nahm anstandshalber die Beine von der Brüstung. Holzauge studierte das Programmheft mit Hilfe eines Augenglases, das ihm an einem Goldkettchen auf der Brust baumelte. Frau Pfefferkorn verströmte einen sehr aufdringlichen Astern-Duft. Er mischte sich mit dem süßlichen Parfüm von Holzapfel und dem Schnäppchen-Rasierwasser von Echtwein. Unten im großen Saal quetschten sich die letzten aufgeregten Konzertbesucher an den anderen vorbei, um auf ihre Sitze zu gelangen. Überall standen große Fernsehkameras. Es war wahnsinnig aufregend. Ich rieb mir die schweißnassen Hände an der samtenen Armlehne ab. Willem starrte vor sich hin. Er roch sehr männlich nach sportlichem Deodorant.
    »Alles klar?«, sagte ich mit einem Seitenblick auf Frau Pfefferkorn zu ihm.
    Willem vergrub seine Nase zwischen den Zeigefingern. Ein grüblerischer Zug lag um seine Stirn. »Ich denke über diesen Herrn Paterne nach«, sagte er leise.
    »Inwiefern?«, fragte ich aufmunternd.
    »Maries Mutter hat ihn eben noch aufgesucht«, sagte er unterdrückt. »Sie ist einfach zu ihm in die Suite gegangen!«
    »Und?«
    »Sie haben über Marie geredet. Und über ihr Lampenfieber.«
    »Dagegen haben wir doch die Vettelhuber-Pillen«, wisperte ich.
    In diesem Moment betrat Paterne den Orchestergraben, und Willems Gemurmel erstarb in dem frenetischen Beifall. Ich blickte unruhig zu Frau Pfefferkorn hinüber. Sie klatschte ebenfalls, und ihre Armreifen schepperten gegeneinander. Holzauge klemmte sein Programm zwischen die Knie, um ungestört klatschen zu können. Siegmund Sterz tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Backe, immerhin. Gernhaber und Echtwein klatschten überhaupt nicht. Zurlinde klatschte zwar, schaute dabei aber in die anderen Logen

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