Karlas Umweg: Roman (German Edition)
erfreut der einzige Mann meines Lebens. Wir gaben einander die Hand und nickten und freuten uns und stammelten, dass wir uns lange nicht gesehen hätten und was der Andere denn hier mache.
»Marie ist oben«, sagte ich, als ich mich wieder gefasst hatte.
»Die gnä Fraa hat extra Wäsung gehm, doß nicht gstört werdn wüll«, sagte die Maid.
»Danke!«, erwiderte Frau Pfefferkorn übermäßig liebenswürdig zu der Maid und schleuderte ihr das Pelzcape auf den Tresen. »Ich weiß selbst, wen meine Tochter zu empfangen wünscht und wen nicht!«
Willem war merklich nervös – es zog ihn zu seiner Gattin, wie er unschwer verbergen konnte.
»Mama«, sagte er zu Frau Pfefferkorn, wobei er vornehm das zweite »ma« betonte, nicht etwa das erste, wie es alle deutschen Erdenbürger schon vom Windelalter an tun, »ich würde gern Marie begrüßen gehen. Warte doch bitte mit Karla hier in der Halle.«
Noch bevor der Drache ihm das verbieten konnte, sprang er schon leichtfüßig und sportlich die Treppen hinauf. Dieser Willem. So ein toller, natürlicher Mensch. Sterz und die meisten anderen wären bestimmt in den Fahrstuhl gestiegen. Harald, der Zargenschnitzer, hätte meiner Einschätzung nach wohl auch das Treppenhaus bevorzugt. Ich stand mit der schwitzenden Krähe in der Hotelhalle.
»Wie geht es Maximilian?«, fragte ich mit belegter Stimme, damit das peinliche Anschweigen ein Ende nahm. Frau Pfefferkorn ließ sich auf einem Lederpolster nieder und fächelte sich mit einer Apollinaris-Reklame Frischluft zu.
»Völlig verwahrlostes, verzogenes Kind«, sagte sie. Ich setzte eine fragende Miene auf. »Verwahrlost? Aber es hat doch eine Großmutter!«
»Ja, meinen Sie, ich würde gefragt? Marie fährt einfach in der Weltgeschichte herum, Willem geht jeden Tag in die Fabrik, und der arme Junge wächst bei einer Putzfrau und einer Polin auf!«
Ich sagte mitfühlend, dass das natürlich zwei besonders extreme Randgruppen der menschlichen Gesellschaft seien. Ob er denn schon einen gestörten Eindruck mache.
»Völlig überfüttert ist der Bengel«, höhnte sie, »und sprechen kann er natürlich noch kein Wort! Mit zweieinhalb Jahren! Marie hat in dem Alter schon die ganze Zauberflöte aufgesagt, und die Götterdämmerung, und zwar ohne Fehler!«
Ich unterdrückte das Bedürfnis, Frau Pfefferkorn den gesamten Inhalt meines soeben erworbenen Schlafmittels einzuflößen, und verlegte mich auf schlichtes Nicken. Nur fort, liebe Großmutter, immer heraus mit dem Frust! Karla ist für die ganze Familie da.
»Laufen kann er natürlich auch noch nicht richtig«, fuhr sie in ihrer Litanei fort. »Diese Ausländerin kann ihm weder das Sprechen noch das Laufen beibringen!« Dann guckte sie mich mit ihrem Adlerblick an. »Wann dürfen wir denn mal wieder mit Ihnen rechnen? Was? Oder steht das schöne Apartment jetzt ganz nutzlos leer? Wie? Als was sind Sie denn eigentlich bei uns angestellt? Kriegen Sie Ihre Ferien auch bezahlt?«
Ich teilte ihr liebenswürdig lächelnd mit, dass ich mich nicht als Angestellte des Hauses betrachte, und mich auch zurzeit nicht in Ferien befinde. Ich sei als Freundin von Marie mit von der Partie.
»Was haben Sie denn da in der Tüte, zeigen Sie mal her!«
Ich zeigte Frau Pfefferkorn bereitwillig das Beruhigungsmittel. Sie riss es an sich, studierte den Beipackzettel und nahm sich dann gleich zehn Pillen raus. »Die kann ich selber ganz gut brauchen!«
Ich sagte ihr, dass ich sie eigentlich Marie geben wollte, gegen das Lampenfieber.
»Papperlapapp! Sie hat kein Lampenfieber, sie will sich nur wichtig machen! Sie haben doch wohl keine Andeutungen meiner Tochter gegenüber gemacht, die Ihnen nicht zustehen«, fragte Frau Pfefferkorn drohend. Ich versicherte ihr, dass ich Marie gegenüber keinerlei Andeutungen über Paterne gemacht hätte. Ehrenwort. Keinerlei.
In diesem Moment erschien Willem niedergeschlagen auf der Treppe. »Sie ist im Moment nicht auf unseren Besuch eingestellt«, sagte er zerknirscht. »So kurz vor ihrem Auftritt … sie hat Panikattacken, die wir durch unsere Anwesenheit nur noch verstärken. Sie möchte außer Karla niemanden sehen.«
»Als Sängerin weiß ich, wie man sich kurz vor einem Auftritt fühlt«, sagte Frau Pfefferkorn. »Als Mutter aber kann ich solche Hysterie auf keinen Fall dulden. Wir haben uns extra auf den Weg gemacht, und ich habe alle meine Schüler abbestellt … Da will uns die Diva nicht empfangen? Kommt überhaupt nicht in Frage!« Sie schob
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