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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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hinüber. Ich klatschte ein bisschen, und Willem klatschte auch.
    Der ganze erste Teil war ziemlich langweilig; es sangen die Preisträger und die lobend Erwähnten, und ich kannte sie ja alle schon. Bei sämtlichen Proben hatte ich sie begleitet, weil Echtwein sich dafür nicht zuständig gefühlt hatte. Ich dachte an Willem. Was wusste er denn nun? Eigentlich wollte ich ihm nicht sagen, dass Paterne Maries Vater ist, damit er den Gedanken an Marie endlich aufgibt und sich realistischeren Bindungsmöglichkeiten zuwendet; zum Beispiel mir. Andererseits tat er mir so schrecklich, schrecklich leid! Wie er den Feind da unten anstarrte, wie seine Schläfenarterien hervorstanden und seine Mittelfingerknochen sein Kinn marterten! Vielleicht würde er eine kleine Pistole ziehen und Paterne von hinten in den Rücken schießen! Der Vollständigkeit halber würde er vielleicht noch einmal quer durch die ganze Loge schießen, und Frau Pfefferkorn und mich aus Versehen gleich mit umnieten! Jedenfalls ertrug ich den Gedanken nicht länger und beugte mich zu Willem hinüber.
    »Mach dir keine Sorgen!«, wisperte ich an seine wohl riechende glatt rasierte Wange. »Von Pateme hast du nichts zu befürchten!« Mein Herz raste vor Aufregung, saß doch Frau Pfefferkorn mir im Rücken und würde mich bei einem falschen Wort mit ihrer Stola erdrosseln. »Sie sollte ihr Beruhigungsmittel nehmen«, wisperte ich.
    Willem verstand wahrscheinlich meine Botschaft nicht und starrte nur weiter auf den Orchestergraben. Ich sah Hartmut Rosenmondt mit heiligem Ernst sein Cello bearbeiten. Paterne dirigierte mit Vehemenz. Sein graues Haupthaar flog ihm um die Ohren. Auf der Bühne versammelten sich alle sechs Kandidaten zum Finale. Sie sangen ein Ensemble aus »Cosi fan tutte«. Alle hatten sich alberne Masken vor die Augen gehalten und sangen nun hektisch durcheinander. Das Stück handelte davon, dass alle allen fremdgingen – und jeder den Anderen für so blöd hielt, dass er es nicht bemerken würde. Ein geistloses, oberflächliches Stück. Willem war ebenso wenig wie ich von der Handlung hingerissen.
    Der erste Teil des Preisträgerkonzertes war glücklich vorbeigegangen. Wir erhoben uns steif und schritten ins Foyer hinab, um ein wenig zu lustwandeln. Verlegen drückten wir uns an der Sektbar herum. Willem reichte Frau Pfefferkorn und mir je ein Glas von dem preislich stark überschätzten Getränk. Er selbst trank stilles Wasser. Er war einfach nicht gut drauf. Ich beschloss, ihn nicht länger im Unklaren zu lassen. Frau Pfefferkorn schäkerte gerade mit Zurlinde, während Echtwein ins Raucherfoyer entschwunden war. Ich nutzte die Gunst der Minute.
    »Willem, ich muss dir was sagen. Es ist wichtig.« Willem stellte sein trübes stilles Wasser irgendwo hin und ging mit mir ein paar Schritte zur Seite.
    »Hat es mit Marie zu tun?«
    »Ja. Es geht um Paterne.«
    »Ja?« Willem blieb stehen und guckte auf seine Lackschuhe. Seine Zehen wippten.
    »Paterne ist Maries Vater.« Die Zehen wippten nicht mehr. Willem hob den Blick.
    »Woher weißt du das? Hat Marie dir das gesagt?«
    »Frau Pfefferkorn hat es mir gesagt.«
    »Wann hat sie dir das gesagt?«
    »Vor ein paar Wochen. Können auch Monate sein. Ich weiß es schon lange.«
    »Und … Weiß Marie es?«
    »Von mir nicht!«
    »Aber wenn ihre Mutter es ihr gesagt hat …«
    »Glaube ich nicht. Nicht so kurz vor ihrem Auftritt. Oder meinst du, ihre Panikattacken kommen davon, dass ihr klar geworden ist …« Ich unterbrach mich schnell.
    »Aber wenn sie es Paterne gesagt hat … und er es ihr gesagt hat …«
    »Warum sollte sie das tun?«
    »Weil sie eine Hexe ist …?«
    »Dann muss ich Marie jetzt beistehen …« Er eilte durch den Künstlereingang davon, kam aber kurz darauf schon wieder.
    »Sie hat Medikamente bekommen, der Doktor Holzapfel ist bei ihr. Sie ist ganz ruhig.« Ich zupfte Beifall heischend an Willems Ärmel.
    »Na also. Sie wird das Konzert schon nicht schmeißen. Komm, wir trinken noch etwas zusammen. Du musst dich auch entspannen, Willem. Ich mache mir Sorgen um dich.«
    Es läutete zum zweiten Teil und die Gäste schritten erwartungsvoll die Treppen hinauf. Siegmund Sterz schlenderte gelassen an uns vorbei Richtung Bühneneingang. Wahrscheinlich würde er sich so langsam mal einsingen und das eine oder andere Haupthaar glatt streichen.
    Frau Pfefferkorn trippelte aufgeregt hinter ihm her und steckte ihm eifrig redend etwas zu, das er kommentarlos in seine Allwetterjoppe gleiten

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