Karlas Umweg: Roman (German Edition)
gedreht. Sie hat mich geheimnisvoll angelächelt und gesagt, ich müsse ja nicht alles wissen.
Ich soll nun Weggehen, damit sie ihre Ruhe hat. Bis mittags hat sie geschlafen, weil das die Stimmbänder entspannt. Nach dem Bad will sie noch mal die Carmen-Partie überarbeiten, aber ohne Echtwein! Das ist allerdings schon ein gefährliches Zeichen. Ich habe überall Plakate hängen sehen, von dem großen Preisträgerkonzert. Es sind insgesamt sechs Kandidaten, die ihre besten Arien vortragen werden. Nach der Pause singen die Jury-Mitglieder selbst! Wenn da der Zuhörer nicht übermäßig verwöhnt wird! Zurlinde hat bescheiden auf seinen Auftritt verzichtet und Marie das Feld überlassen. Siegmund Sterz singt natürlich den Alberich und den Rigoletto, zwei sehr unterschiedliche Partien, die stilgerecht interpretiert sein wollen. Und als Krönung des Gespanns: die Sieglinde. Mit Brüllhilde, erster Akt, Prallgunde, zweiter Akt und Schreiholde bis zum Finale. Arme Marie. Abgesehen davon, dass sie zwischen einem Ehepaar steht, was ja schon mal eine Zumutung für sie sein dürfte, muss sie auch noch in Kauf nehmen, dass Sieglinde optisch und akustisch den meisten Platz im Festspielhaus für sich beansprucht. Hoffentlich ändert Paterne seine Meinung nicht. Er will Marie. Ich weiß es. Sieglinde ist zu fett. Nein, nein, ich sollte mir keine Sorgen machen. Marie hat die Carmen schon so gut wie in der Tasche.
Etwa vier Stunden vor Maries Auftritt im großen Festspielhaus passierte etwas Überraschendes: Mutter Pfefferkorn rauschte in ihrem für diese Jahreszeit etwas unpassenden Ozelot-Mantel durch die Hotelhalle, gefolgt von Willem!! Ich war starr vor Schreck und wurde knallrot im Gesicht. Willem! Seit Tagen und Nächten denke ich an niemand anderen! Plötzlich steht er da in der Hotelhalle! Ich hatte gerade in der Apotheke ein paar Tranquilizer für Marie besorgt, die Doktor Vettelhuber ihr vorsichtshalber noch verordnet hatte, nachdem ich ihr davon berichtet hatte, wie laut und ohrenbetäubend fett Sieglinde die Carmen interpretiert. Marie leidet unerklärlicherweise an schrecklichen Panikattacken. Obwohl sie überhaupt keinen Grund dazu hat! Aber natürlich holte ich ihr das Schlafmittel. Auf dem Beipackzettel stand: »Für Lampenfieber, nervöses Herzklopfen, Einschlafprobleme und Sprechangst, bei situationsbedingtem Stottern, Schweißausbrüchen und Prüfungsstress«. Ich bin nicht sicher, ob es vorteilhaft ist, wenn Marie ein Schlafmittel vor dem Konzert nimmt, schließlich wird es live im Fernsehen übertragen. Aber Marie muss es wissen. Sie kennt sich schließlich am besten und hat bis jetzt immer getan, was für sie richtig war. Und dann standen Willem und Frau Pfefferkorn in der Halle! Gerade, als ich aus der Apotheke kam! Mit lauter, tragender Stimme bestellte Frau Pfefferkorn ein Zimmer, »aber ruhig und ohne Klimaanlage«!
»A Doppelzimma?«, fragte das schmucke Dirndl an der Rezeption und schaute verbindlich zwischen Frau Pfefferkorn und Willem hin und her. Willem räusperte sich verlegen und guckte auf seine Tennistasche, die er bei sich hatte.
»Nein, der Herr schläft bei meiner Tochter!«, sagte Frau Pfefferkorn pikiert.
»Aha, und wo befindet sich das Fräulän Doochta?«, fragte die nette Maid und schaute immer noch verbindlich.
»Meine Tochter ist kein Fräulein«, sagte Frau Pfefferkorn etwas zu schrill, »und sie wohnt bereits seit zwei Wochen in Ihrem Hause. Bitte veranlassen Sie das!« Die Maid lächelte nicht eine Spur unverbindlicher als zuvor.
»Was, bittä, gnä Frau, soll i denn jetzt veronlossn?«
»Dass MEIN SCHWIEGERSOHN bei MEINER TOCHTER SCHLÄFT!«, schrie Frau Pfefferkorn völlig genervt. Wahrscheinlich war ihr in dem Pelzmantel etwas warm geworden. Willem, der sich bis jetzt höflich zurückgehalten hatte, sprang der lieben, verehrten Schwiegermama in erwartet galanter Weise bei: »Frau von Otten. Zimmer vier, glaube ich.«
»Ah, die Suitä«, sagte die Maid, und dann zeigte sie auf mich, die ich mit meinem Schlafmittel in der Halle stand. »Die jungä Damä wohnt aber auch bä der gnädigen Fraa! Bittschön, wenns rrecht ist!«
Es war keinem der Anwesenden recht. Ich näherte mich zögernd. Willem! Wie gut er doch aussah! Obwohl er kein Reptil auf der Brust hatte, sondern einen Anzug mit Krawatte trug, wie sich das für den Schwiegersohn von Frau Pfefferkorn gehört, war er wieder mal perfekt gekleidet.
»FRÄULEIN Umweg!«, sagte Frau Pfefferkorn.
»Hallo Karla!«, grüßte
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