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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Alarmanlage, Videokamera und mindestens einer reißenden Bestie ausgestattet sei. Am Grunewaldsee stieg ich aus. Maries Haus hatte überhaupt kein Namensschild, dafür war es immerhin freundlich und hellgelb und von Rosenhecken umrankt. Das war also das Schloss, in dem Schneewittchen ihren Winterschlaf hielt! Ich gebe zu, noch nie so ein schönes, prunkvolles Haus gesehen zu haben, und hob zitternd die Hand, um auf die goldene Schelle zu drücken. Eine riesige schwarze Dogge äugte mir durch den Zaun entgegen. Als ich sie anblickte, grollte sie leise und heiser mit hochgezogener Oberlippe. Ein ziemlich großer Spuckefaden hing ihr am Maul und baumelte bedrohlich hin und her.
    Ich klingelte und sprang dann drei Schritte zurück, weil die Dogge sich vor Empörung fast selbst zerfleischte. Kurz darauf knackte es im Lautsprecher »Ja bitte?« und ich wollte schon »Nein danke!« sagen, meldete mich jedoch artig: »Karla Umweg.« Es knackte in der Leitung, die Dogge verhinderte jede weitere Unterhaltung mit der Sprechanlage. Kurz darauf keifte eine mir bekannte Stimme: »Olga, mach Platz, Olga, sitz, Olga, hierher!« Es war die Mutter, die den Kiesweg entlangkam, diesmal ohne den Nerz um die Schultern, sondern in einer Kittelschürze, wie sie Mama auch immer trägt, wenn sie Kartoffeln schält. Olga übrigens machte weder Platz, noch setzte sie sich, noch kam sie zur Mutter – das eine machte das andere ja auch unmöglich –, sondern gebärdete sich ziemlich hysterisch hinter dem Zaun. Ich beschloss, das hochherrschaftliche Anwesen nicht zu betreten, solange das Untier solche Laute von sich gab. Die Mutter rief mir zu, ich solle ruhig reinkommen, der Hund tue nichts, er wolle nur spielen, aber ich rief zurück, dass ich meine Finger noch brauchte und auch nur spielen wolle, allerdings Klavier. Daraufhin floh die Mutter wieder ins Haus und Olga schnaubte böse Äußerungen hinter ihr her. Als Marie dann rauskam, war Olga augenblicklich ein stilles, liebes Kalb und legte sich freundlich auf den Kies. Marie hatte ein dickes Baby im Arm, das haute nach dem Hund und sagte »Baba«. Ich war überrascht, dass Marie ein Baby hatte! Sie sah überhaupt nicht so aus, als sie so schlank und schön im Auditorium stand und so göttlich professionell und spielerisch ihre Carmen-Arien sang. Auch Echtwein hatte mir keinen Ton davon gesagt, aber er hatte ja auch keinerlei Veranlassung dazu. Marie gab mir die linke Hand, weil sie frei war, und das Baby verrenkte sich den Kopf nach Olga und ignorierte mich völlig. Wir gingen vorsichtig an dem Kalb vorbei, das desinteressiert an einem Kieselstein knabberte. Vom Fenster aus rief schrill die Mutter: »Trinken Sie Tee oder Kaffee?« Sofort sprang die Dogge wieder auf und hetzte auf das Fenster los, um wütend und heiser auf die Mutter einzubellen.
    »Wauwau«, rief das Baby und feuerte Olga an.
    Marie lachte. Das Haus sah von außen aus wie ein Sanatorium für Privatpatienten: hellgelb leuchtend, mit Rosen umrankt und inmitten eines riesigen gepflegten Gartens. Und erst innen!
    In tiefer Ehrfurcht verharrte ich im Flur. Nein. Flur ist das völlig falsche Wort. In der »Halle« trifft es besser. In Erwartung eines Butlers, der mir meinen abgeschabten Parka und meine Notentasche abnehmen würde, blieb ich beeindruckt stehen.
    »Mensch, ist das riesig«, entfuhr es mir.
    »Ja, nicht wahr, es ist geräumig«, sagte Marie und setzte das dicke Baby auf den Marmorboden. Es fing sofort an, auf dem prallen Popo zu robben, und entfernte sich schnaufend in Richtung Küche.
    »Mutter, du sollst Maximilian bitte nichts geben«, rief Marie. »Er ist eh viel zu fett«, vertraute sie mir an. »Mutter steckt ihm dauernd was zu.«
    Aber kurz darauf hatte der kleine Bengel ein völlig verschmiertes Gesicht. Es sah nach Kuchen und Schokolade aus. »Komm erst mal rein, Karla«, sagte Marie. Das Wohnzimmer war sehr hell, mit vielen Pflanzen und Blumen geschmückt und gekonnt sparsam mit antiken Möbeln eingerichtet. In einer großen Nische stand ein weiß lackierter Konzertflügel. Fasziniert fragte ich: »Darf ich?« Marie nickte aufmunternd, ich wischte mir die U-Bahn-Hände an meinen Cordhosen ab, spielte das Vorspiel der »Habanera« aus »Carmen«, und Marie fing federleicht und gut gelaunt an zu singen. Ich war echt stolz. Marie zu begleiten wäre mein Traum! Wir waren richtig gut drauf und es machte mir wahnsinnig Spaß. Endlich mal eine richtige Sängerin! Sie hat übrigens mit Auszeichnung ihr

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