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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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erhaltenem, jedoch nicht essbarem Strunk, daneben eine farblich nicht ganz vorteilhaft aussehende Feige an Zimt, halb versteckt unter einem Minzeblatt, rechts darüber ein winziger Klecks Schokoladenmousse, darüber ein Bällchen Vanilleeis mit gevierteilter heißer Kirsche und als Krönung sozusagen eine Schokoraspel. Ich genoss, besonders optisch, dieses Dessert innerhalb von dreißig Sekunden und dachte voll Wonne an Matthäus, der jetzt in irgendeiner verrauchten Kneipe am Billardtisch stehen und lauwarmes Bier aus der Flasche trinken musste.
    »Sind Sie eine neue Freundin meiner Tochter?«, unterbrach die Mutter meine Gedanken, weil niemand sonst ihr Aufmerksamkeit zu schenken bereit war.
    Ich erwiderte höflich und bescheiden, wie ich nun mal erzogen wurde, dass ich mich nicht als Freundin von Marie bezeichnen würde, da wir uns heute Abend erst kennengelernt hätten.
    »Jedenfalls machen Sie einen besseren Eindruck als dieser ungepflegte Lümmel mit den fettigen Haaren«, sagte sie und klaubte sich aus einer güldenen Zigarettendose eine langhalsige, extraschlanke Zigarette mit Mundstück in Lila.
    »Das haben Sie nett gesagt«, sagte ich herzlich und verkniff mir, den Puderzucker mit dem Finger vom Dessertteller zu lecken. Papa in seiner Manie, keinerlei Reste auf Tellern zu lassen, hätte den Puderzucker vermutlich mit einem Stück Brot aufgesogen und den Kellner um eine Papierserviette gebeten, um das Ganze in seine Manteltasche zu stecken. Das macht Papa immer. Das kann schon manchmal peinlich werden.
    »Mutter, lass die junge Studentin bitte in Ruhe«, sagte Marie, die gerade mit Professor Zurlinde, dem Hochschuldirektor, gelacht hatte, mit warnendem Unterton. »Sie hat nur umgeblättert, sonst nichts!« Das klang so, als wollte sie sagen: »Sie gehört nicht zu unserem Clan, also weihe sie auch nicht ein!«
    »Aber ich werde doch wohl mal fragen dürfen!«, erzürnte sich die Mutter. »Du könntest sie vielleicht ganz gut gebrauchen!« Und dann zu mir: »Aus was für einem Hause stammen Sie denn, mein Kind?«
    »Aus einem grauen Reihenhaus«, sagte ich und bedauerte, dass sie ihre Asche auf ihren köstlichen Nachtisch schnippte, weil ich schon die ganze Zeit geplant hatte, heimlich ihren gegen meinen Dessertteller auszutauschen.
    »Mutter«, rief Marie aufgebracht und Herr Echtwein legte seine saubere Palmolive-Hand beruhigend auf die ihre.
    Ich begann zu ahnen, dass das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter durchaus einer gewissen Herzlichkeit entbehrte. Das wiederum registrierte die Mutter schneller als eine Schlange wahrnimmt, dass ein Frosch ihr den Rücken zudreht. Sie setzte zum Zubeißen an.
    »Edwin«, sagte sie vanilleweich, »wenn ich so was Fantastisches, Musikalisches und Feinfühliges wie Sie damals gehabt hätte, wäre meine Karriere anders verlaufen! Marie hat alles! Einen wundervollen Ehemann, der sie auf Händen trägt, einen Pianisten, der sie einfühlsam begleitet, die Unterstützung und Förderung einer erstklassigen Hochschule, Agenten und Intendanten, die in ihre Konzerte strömen, und sogar ein Mädchen zum Umblättern. Ich aber, nach dem Krieg, ich hatte niemanden. Ich musste mich und mein kleines Kind ganz allein durchbringen!«
    Und das alles mir, Karla Umweg aus dem grauen Reihenhaus in Bad Orks, die erst seit drei Tagen in der Großstadt war und noch keinen kannte!
    Wenn Mama und Papa wüssten, mit was für hochgradigen Künstlernaturen ich bereits zu Beginn meines Studiums zusammengetroffen bin!
    Später, als ich mich verabschiedete, tätschelte mir die Mutter zufrieden die Hand. Außer mir hatte ihr im weiteren Verlauf des Abends niemand wirklich Beachtung geschenkt. Ich ging noch um den Tisch herum zu Marie, um mich bei ihr für die Einladung zum Essen zu bedanken, da sah ich aus überraschtem Augenwinkel, dass nicht nur der Edwin Echtwein seine Hand auf ihr linkes, sondern auch der Herr Professor Zurlinde seine Hand auf ihr rechtes Knie gelegt hatte! Ich vermute jedoch, dass die beiden Hände voneinander nichts wussten, die beiden Knie verschwiegene Kameraden waren und die beiden Augen von Marie nicht zu Unrecht mit der Saphirnadel um die Wette glänzten. Als ich nämlich Marie die Hand reichen wollte, rückten beide Tischherren wie ertappt von ihr ab und legten sofort alle vier Hände artig und verlegen auf den Tisch, wo sie sofort zum Glas griffen; reine Übersprungshandlung natürlich! Marie war charmant und wünschte mir einen guten Heimweg und viel Erfolg im

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