Karlas Umweg: Roman (German Edition)
darin häufig Cembalos und Gamben und Kontrabässe, und andere leicht brennbare Ware, wie er mir erklärte – durfte ich mitfahren zum Europazentrum, diesem eindrucksvollen Gebäude mit dem Mercedes-Stern darauf. Oben befindet sich ein Dachrestaurant, das sich auch noch dreht, was ich für überflüssig und unzweckmäßig halte, da man ja beim gleichzeitigen Essen und Drehen häufig unter Übelkeit leidet. Auf der Fahrt dorthin war Echtwein ziemlich einsilbig, aber ich als Pianistin und zukünftige konzertierende Künstlerin wusste das als Überreste einer schier unmenschlichen Konzentration zu deuten und störte ihn nicht beim Schweigen. Nur einmal sagte ich sanft zu ihm, dass er ein hervorragender Begleiter sei, um eine höfliche Konversation nicht von vorneherein auszuschließen, aber seine Mundwinkel hingen parallel zu seiner Fliege düster erdenwärts, und so ließ ich die überflüssige Lobhudelei. Es ist ja anerkanntermaßen das Schicksal eines jeden Pianisten, im Schatten des Sängers oder der Sängerin zu verblassen, und wenn es sich um eine so außergewöhnliche Frau wie Marie handelt, schon mal erst recht. Armer Echtwein. Irgendwie ein Nachtschattengewächs. Schon von Berufs wegen. Eine Frau schien er nicht zu haben, jedenfalls keine, die ihm sofort seinen durchgeschwitzten Frack vom Leibe reißt, um ihn zu reinigen. So eine Art Regina scheint er also nicht sein Eigen zu nennen. Wir kamen im hell erleuchteten Prunksaal im fünfundvierzigsten Stock über den Dächern der Großstadt an, als bereits erste Reden gehalten wurden. Es wimmelte von Intendanten und deren gefräßigen Verwandten, die alle auf Maries Rechnung ein feines Abendessen in schwindelnder Höhe zu sich nehmen wollten. Es war wie auf einer Hochzeit: an langen Tischen hockten die Gäste und kauten unverhohlen hinter damastenen Servietten, während immer irgendein Freiwilliger das Kauen für die Dauer seiner eigenen Rede kurzfristig unterbrach. Ich hielt gleich einen Kellner an, der Champagner auf einem Tablett durch die Menge balancierte, und prostete Marie zu. Was für eine Frau! Sie saß in ihrem hinreißenden schwarzen Samtkleid inmitten ihrer Fans, und ihre grünen Augen funkelten wie die Saphirnadel und wie der Wein in ihrem kristallenen Glas. Die alte Dame im Nerz machte eine Szene, als man sie von dem überflüssigen Kleidungsstück befreien wollte. Nein, ihr sei erst letztens ein Seehund weggekommen, in einem ähnlichen Etablissement, sagte sie mit akzentuierter Stimme und begab sich in Mantel und Hut zu Tisch. Leider kam ich neben ihr zu sitzen, denn sie hatte anscheinend keinen Tischherren und ich natürlich auch nicht. Vielleicht hätte sonst Matthäus neben ihr gesessen, und das hätte ich ihr und ihm ehrlich gesagt von Herzen gegönnt. Jedenfalls durften wir doch die Nähe von Marie genießen, die zwischen ihrem Begleiter Echtwein und ihrem Gesangsprofessor Heyko Zurlinde saß, wie eine Braut mit zwei Bräutigamen. Der eine Bräutigam sog schmallippig und hängeschultrig an seiner Pfeife, der andere Bräutigam klopfte an sein Glas und hielt schwungvolle Reden, die er den anwesenden Presseleuten am liebsten im Mitschreibetempo diktiert hätte.
Die für diesen Anlass wie schon erwähnt etwas zu warm angezogene Dame im Nerz ließ mich bald wissen, dass sie Maries Mutter sei, was mich mit tiefem Mitgefühl für Marie erfüllte. Sie hob an, während sie die Schildkrötensuppe schräg zum Munde führte, dem gestressten und mürrisch blickenden Herrn Echtwein schräg über den Tisch hinweg ein Gespräch aufzudrängen. Dieser sog grämlich an seiner Pfeife, was Papa sicherlich als arge Unverschämtheit gewertet hätte, wagte aber nicht, ihr seine Aufmerksamkeit zu verweigern. Sinngemäß sagte die Mutter etwa, dass sie damals im Krieg leider keinen Begleiter von Echtweins Qualität zur Verfügung gehabt habe, sich also mehr aus Not als aus Tugend bei ihren Liederabenden selbst am Klavier begleitet habe. Aha, dachte ich in meine lauwarme Krötensuppe hinein, die Mutter ist also auch Sängerin gewesen. Marie ist erblich vorbelastet, das ist ja interessant. Ich versuchte, die Mutter zu überhören, genoss ich doch edelste Leibesfreuden in meinem ausgehungerten Studentinnenbauch! Zumal ich heute Mittag die schrumpelige Mandarine zum Nachtisch nicht ergattert hatte! Das Dessert dieses Abends hingegen war eine wahre Vorgartenpracht unter Zuckerguss: eine Viertel-Mango-Spalte, liebevoll gelagert neben einer halben Erdbeere mit vollständig
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