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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Monate oder so.«
    »Aber … Maximilian wirkt … älter, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«
    »Messerscharf kombiniert. Maximilian ist nicht von ihm. Ja, das passt. Das kannst du anlassen. Ich schenk es dir!«
    Ich schluckte. Marie schenkte mir schon wieder ein Kleid, und Willem war in der Fabrik, obwohl es hier im gelben Hause viel netter war, und Maximilian war unehelich, und die Mutter war an allem schuld.
    Draußen bellte Olga.
    »Wozu schenkst du mir das Kleid?«, fragte ich verlegen.
    »Willst du etwa nicht mitkommen auf die Tournee?«
    Ich stand da, mit dem Kleid vor der Brust, halb offenem Mund und starrte sie an. »Tournee?« In dem Moment kam ohne anzuklopfen die Mutter herein. Schnaufend ließ sie das Baby aufs Bett fallen, auf die grauseidene Tagesdecke. »Den kann man ja überhaupt nicht transportieren«, beschwerte sie sich. Die grauseidene Tagesdecke wies sofort Schokoladenflecken auf. Die Mutter musterte mich unerfreut. »Sie sind auch kein Leichtgewicht. Sie könnten ruhig etwas abnehmen, wenn Sie mit meiner Tochter auftreten!«
    »Ja sicher.« Ich schämte mich immer weiter.
    »Mutter!«, warnte Marie. »Lass sie in Ruhe!«
    »Bitte, bitte«, sagte die Mutter eingeschnappt. »Bisher hast du dein Personal ja immer selbst ausgesucht. Du siehst ja, wohin das führt. Lauter Luschen.«
    Marie öffnete die Schlafzimmertür und trommelte nervös mit den Fingern dagegen.
    »Wenn wir jetzt hier ungestört Kleider anprobieren dürften …!«
    »Undank ist der Welt Lohn«, sagte die Mutter und ging. Unten in der Halle hörte man sie mit harten Schritten hin und her schreiten, wahrscheinlich suchte sie ihre Siebensachen zusammen, und dann verließ sie die herrschaftliche Villa. Die Dogge schnellte aus ihrer Hütte und verfolgte übellaunig bellend die Mutter, bis sie mit ihrem Federhut und Schirm das Gartentor hinter sich zugeknallt hatte. Das Baby wippte auf der seidenen Tagesdecke herum und lachte.
    »Ich hasse meine Mutter«, wiederholte Marie und schnippte gereizt die Asche aus dem Fenster.
    Marie bot mir einen Sherry an. »Jetzt, wo sie weg ist, geht es mir sofort besser!« Wir tranken den Sherry und ich fühlte mich schon wieder aufgenommen in den Kreis der Extravaganten und Schönen, in die erlauchte Runde derer, die ihre Mütter hassen und tagsüber im Unterrock Sherry trinken.
    Marie erzählte mir, dass sie und Echtwein kommende Woche auf eine Westdeutschland-Tournee gehen würden, mit dem gleichen Programm wie letztens im Auditorium beim Konzertexamen. Es würde von einem Kulturausschuss gesponsert, dessen Vorsitzender der Herr Professor Zurlinde sei. An dieser Stelle kicherte sie und küsste ihr Sherryglas. Ich beschloss, mir solcherlei Gesten zu merken und sie bei passender Gelegenheit selbst einmal anzuwenden.

Ich war wieder bei Marie. Die Mutter hatte mich im Studentenheim angerufen und mir ausrichten lassen, ich würde sofort dringend gebraucht. Als ich vierzig Minuten später schweißgebadet in Maries Villa ankam, schimpfte die Mutter gerade mit der Putzfrau, die ein altes Nutellabrötchen aus dem Schirmständer schüttelte.
    »Lassen Sie das doch, Frau Perl! Karla, da sind Sie ja endlich. Nehmen Sie Maximilian mit und gehen Sie in den Park. Marie muss jetzt üben, und ich werde sie dabei kontrollieren, sonst gerät sie wieder ins Trällern!«
    Geschäftig schob sie Marie ins Musikzimmer und Frau Perl in die Küche. Mich schob sie ins Kinderzimmer und damit hatte sie den gesamten Haushalt organisiert.
    Ich schnappte mir das dicke Baby und wuchtete es in den Buggy. Festschnallen konnte ich es nicht, weil die Gurte zu eng waren. Das Baby klemmte im Kinderwagen wie eine Qualle in einer Streichholzschachtel.
    Wir gingen durch stille leere Straßen und ich war ziemlich nachdenklich. Eigentlich wollte ich am Nachmittag zur Harmonielehre und anschließend zur Musikgeschichte, und später dann wollte ich ansitzen für die Abendschicht, um bis 22 Uhr auf einem Bösendorfer zu üben, aber das interessierte hier offensichtlich keinen. Ich weiß auch nicht genau, wie es passieren konnte, aber jetzt bin ich ein Kindermädchen und schiebe mit einer überfütterten frühkindlichen Problemzone durch Berlins feinstes Villenviertel. Wie kann denn das passiert sein?
    Als ich nach über zweistündigem Marsch durch erste Schneeflocken im Park zurück in Maries Haus kam, war die Mutter weg. Marie saß auf dem Sofa, rauchte und trank Sherry. Ihre Augen waren verheult.
    Maximilian klemmte in seinem Buggy

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