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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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kennen.«
    Ich vermied es zu erwähnen, dass ich in diesem Hause schon einen Mann kennengelernt habe, weil das alles zu kompliziert gewesen wäre für meine Eltern. Papa interessierte sich allerdings mehr für meine Fortschritte im Klavierspielen.
    Ich sagte, ich sei neuerdings eine Meisterschülerin von Echtwein, dem begehrtesten Professor der ganzen Berliner Hochschule, und sie könnten heute Abend ja einen Eindruck von meinem Lehrer bekommen. Mama holte gleich eine Packung Vanille-Eis aus dem Hause von Otten und legte mir eine große Portion neben den Pflaumenkuchen. Und noch einen dicken Klecks Sahne.
    Papa schüttelte missbilligend den Kopf über solchen Unsinn, aber er verkniff sich seine üblichen Belehrungen. Das finde ich bewundernswert an Papa. Er hat in fünfundzwanzig Ehejahren gelernt, dass es gar nichts bringt, Mama zu belehren. Da kann man genauso gut einer Fensterbank predigen.
    »Dass unsere Karla in solchen Kreisen verkehren darf …«, fing Mama wieder an. Papa ließ sich nicht irritieren: Ob Echtwein ein guter Klavierlehrer sei. Ja, Papa lässt sich kein V für ein U vormachen, und Titel und Markennamen beeindrucken ihn überhaupt nicht. Ich trank noch eine dritte Tasse Kaffee und ging auf die Frage bezüglich Echtweins Qualitäten als Klavierlehrer gar nicht ein.
    Schrecklich gern hätte ich geübt, wenigstens hier, in meinem Elternhaus, wo niemand mich gehindert hätte! Aber nach der vielen Sahne und dem Kuchen und dem Eis konnte ich nichts dergleichen mehr tun.
    Die Reise ist zu Ende. Der Abschied von den Eltern war richtig rührend. Sie haben mich eigenhändig hierher gefahren, zum Frankfurter Flughafen. Marie und Edwin sind derweil mit dem Flughafenexpress gefahren. Es war schön, die Eltern heute noch mal für mich zu haben, denn gestern Abend haben sie nur Marie angebetet. Natürlich, ich kann das verstehen, weil ich Marie ja auch verehre. Sie ist einfach zauberhaft, witzig, originell, unterhaltsam und klug.
    Ich hab in Penna einen Liebsten wohnen,
    in der Maremme einen andern …
    … und wieder einen hab ich in Maggione,
    vier in Bad Orks – zehn in Castiglione
    Marie kann so spontan sein, und mit dem kleinen Scherz »Bad Orks«, den sie augenzwinkernd einwarf, brachte sie alle Zuhörerherzen zum Schmelzen. Selbst Papa, der von diesem Gunther-Sachs-Niveau, wie er es nennt, normalerweise nichts hält, war völlig aus dem Häuschen. Mama hat wahrscheinlich den Rest des Konzertes darüber nachgedacht, wer diese vier Liebhaber in Bad Orks denn wohl sein könnten. Sie nimmt immer alles wörtlich und bei ironischen Scherzen ist sie meistens überfordert.
    Das Konzert war völlig ausverkauft, und ich guckte unauffällig im Publikum herum, weil ich ja in der Kulturszene meiner Heimatstadt eine Menge Bekannte habe. Doch niemand hatte ein Auge für mich, alle waren nur hin und weg von Marie, und das ist auch verständlich. Sie hatte ein neues Abendkleid an – ein dunkelblaues Samtkleid, mit schwarzem Taft, der bei jeder Bewegung knisterte – und sang so zauberhaft und geheimnisvoll wie nie zuvor. Ich blätterte dem Echtwein mit feuchten Händen die Noten um. Wahrscheinlich war ich am aufgeregtesten von allen. Mama und Papa saßen im hinteren Drittel; ich hatte doch keine Karten mehr für sie besorgen können; aber sie waren wahnsinnig stolz und glücklich, dass ich für eine so außergewöhnliche Sängerin umblättern durfte. Nur Papa hatte nachher so einen Blick drauf. Wahrscheinlich kann er es kaum erwarten, dass ich selbst Marie am Klavier begleiten darf. Warte nur, Papa. Meiner Karriere steht praktisch nichts mehr im Weg. Ich finde, ich habe bis jetzt einen supersteilen Weg gemacht, zielstrebig und konsequent. Auch vom Zuhören lernt man, das hast du selbst immer gesagt.
    Nachher gab Marie drei Zugaben, davon zweimal die Habanera. Wie strahlend ihr das hohe Fis gelingt! Gestern blieb sie fast zehn Sekunden drauf, bis man im Saal schon die Luft anhielt. Fast wären die gläsernen Scheiben zersprungen, so eine Intensität hatte das. Und dann: tosender Beifall! Ich bin richtig rot geworden vor Stolz. Nachher beim Noten-Einsammeln hab ich’s vor mich hin geträllert, und plötzlich meinte Mama, ich hätte aber auch eine schöne Stimme. Ich wurde rot und winkte ab, und Papa sagte klug: »Schuster bleib bei deinem Leisten.« Wir saßen dann noch zusammen in Müllers Weinstuben, wo Mama extra einen großen Tisch bestellt hatte. Marie erzählte Schwänke aus ihrem Leben und Mama und Papa hingen an

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