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Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Karlas Umweg: Roman (German Edition)

Titel: Karlas Umweg: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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sich hemmungslos Tag und Nacht die Haare raufen.
    Willem fuhr mit einem weißen Mercedes vor. Ein Firmenwagen, wie er bescheiden zugab. Ich saß schüchtern neben ihm und schwieg. Vorsorglich hatte ich mir etwas von Maries Rouge ins Gesicht geschmiert, er hat es aber nicht bemerkt. Während der Fahrt sagte er nicht viel. Es schien mir fast, als sei er ein wenig verlegen! Jedenfalls war ich ganz schrecklich nervös und nicht in der Lage, unverbindlich mit meinem neuen Arbeitgeber zu plaudern.
    Da saß ich nun neben dem Vanille-Chef in Weiß, starrte auf seine braungebrannten Hände und auf das lederbezogene Lenkrad, und er starrte auf die Ampeln und auf die Zebrastreifen. Schließlich sagte er: »War es schön auf der Tournee?«
    »Ja«, erwiderte ich und musste schlucken. Wie provinziell von mir.
    »Hat Marie … gut gesungen?«, fragte Willem und ließ eine Oma über den Zebrastreifen gehen.
    »Ja, sehr«, sagte ich und schaute auf die Oma. Sie hatte einen Dackel bei sich, der humpelte. Genau wie die Oma.
    »Hat Herr … äh«, sagte Willem.
    »Echtwein«, sagte ich.
    »Sie gut begleitet?«
    »Sehr gut. Er ist ja Professor für Klavier. Er ist jetzt mein Lehrer!« Ich wollte das Gespräch in harmlosere Bahnen lenken. Nicht so Willem. Er lachte zynisch: »Er war auch mal Maries Lehrer! So fing alles an!«
    »Oh, das tut mir leid«, sagte ich zerknirscht, als wäre das alles meine Schuld. Wieder eines meiner typischen Fettnäpfchen, verdammt. Willem schwieg. Immer wenn er den Gang wechselte, hatte ich das Gefühl, er wolle lieber Echtwein eine reinhauen.
    »Marie hat wunderbar ausgesehen«, versuchte ich den Faden wieder aufzunehmen.
    »Ich weiß«, konterte Willem bitter. Ich erkannte schonungslos die Wahrheit: Dieser Vanille-Mann liebte Marie. Ganz klar. Kein Zweifel.
    Schließlich sagte mein zukünftiger Arbeitgeber: »So, und nun wollen Sie also zu den Ottens ziehen?!« Er benutzt noch nicht mal seinen Adelstitel! Mama würde sagen: »Da kannst du mal sehen, was der für eine Herzensbildung hat! So ein gediegener, bescheidener Mann!«
    »Ja, also …«, ich schluckte. »Die Idee war doch von Ihnen!«
    »Von Marie«, verbesserte Willem.
    »Von Marie«, wiederholte ich kleinlaut.
    »Marie braucht so etwas wie eine verlässliche Vertraute«, sagte Willem und guckte mich von der Seite an.
    Ich dachte daran, dass Robert, der Entenhalter, mit seinen Fleißigen Lieschen bestimmt etwas Ähnliches ausdrücken wollte. »Wer braucht die nicht«, sagte ich und lächelte verlegen.
    Ich betrachtete Willem: er trug wieder diese weißen Hosen, weiße Socken und Schuhe, ein weißes Polo-Hemd. Wahrscheinlich müssen Vanille-Eis-Fabrikanten sich so anziehen wie Chirurgen, Zahnärzte und Apotheker. Das macht erst die extravagante Note der Eiscreme aus. Oder er spielt dauernd Tennis, dieser Willem.
    »Maximilian braucht auch ab und zu eine Aufsicht«, sagte Willem. »Er kommt jetzt in das Trotzalter.«
    »Haben Sie noch kein neues Kindermädchen?«, fragte ich.
    »Nein.«
    Ich schwieg. Kindermädchen ist eigentlich nicht mein Berufsziel. Ich würde viel lieber Pianistin werden. Ich habe nämlich die Hochbegabtenprüfung an der Hochschule der Künste als einzige Bewerberin bestanden und bekomme dafür vom Staat ein Stipendium. Darauf wies mich Papa letztens noch hin.
    »Marie wird sich jetzt nicht mehr so viel um Maximilian kümmern können«, sagte Willem. »Jetzt nach dem Konzertexamen purzeln die Engagements herein.«
    »Klar«, sagte ich. »Sie ist eine fantastische Sängerin.«
    »Wenn man Sie nicht gerade zum Umblättern braucht«, lächelte Willem, »würde ich Sie bitten, dass Sie an solchen Abenden Maximilian ins Bett bringen.«
    »Aber klar mache ich das«, sagte ich. »Er ist ja so ein süßer kleiner Kerl, den muss man ja lieb haben, und wie er jetzt seine eigene kleine Persönlichkeit entwickelt …« Mir fiel schlagartig ein, dass Willem ja gar nicht sein leiblicher Vater ist. Mama sagt immer, Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.
    Mama wäre begeistert von diesem Apartment. Kein Vergleich mit meiner Gefängniszelle in der Wurmstraße. Alles ist warm und heimelig. Sitzecke Marke geschmackvoll, aber nicht protzig, Farbfernseher mit Fernbedienung und Kabelanschluss, eine kleine, aber feine Einbauküche mit Mikrowelle, Waschmaschine und Trockner, ein leerer Vogelkäfig, eine kleine Stereoanlage, die ich nicht bedienen kann. Im Bad eine feine Dusche und ein großer Spiegel, der mich unnötigerweise von allen Seiten zeigt.

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