Karlas Umweg: Roman (German Edition)
Nachdem ich nun schon einige Male an Marie beobachtet habe, wie sie sich schminkt, habe ich es einfach mal ausprobiert. Darüber muss wohl einige Zeit verstrichen sein. Gerade als ich fand, dass ich doch eher wie ein Straßenmädchen aussah, kam Marie herein. Sie war bleich und zerzaust, aber aufgekratzt und mit den Gedanken ganz woanders. Mir sank das Herz in die Hose.
Aber sie bemerkte gar nicht, wie ich aussah. »Karla«, sagte sie und ihre Augen hatten diesen typischen Glanz, »er ist einfach der Wahnsinn! Ich liebe ihn doch!«
»Wen?«, fragte ich und wischte mir schnell mit dem Handrücken über die knallroten Lippen.
»Edwin!«
»Ja, aber Robert!«, begehrte ich auf.
Marie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach der! Ein Gartenzwerg ist er, ein Kleingärtner! In jeder Hinsicht, hahaha, wenn du verstehst, was ich damit sagen will!« Sie kicherte vergnügt.
»Aber du fandest ihn doch so toll!« Ich war völlig irritiert.
»Ach, ein kümmerlicher Typ war das, und so verbissen, so bemüht um Erfolg, du weißt schon, was ich meine, so ganz ohne Humor, so langweilig!« Marie ließ sich auf das Bett fallen, auf dem ich ihre ganzen Utensilien ausgebreitet hatte. Da erst merkte sie, was ich getrieben hatte.
»Was hast du denn versucht?« Ich dachte schon, sie würde schimpfen wie früher die Mama: »Wie siehst du denn aus, wer hat dir das erlaubt, geh dich waschen, du Ferkel, und dann ab ins Bett und ohne Abendessen!« Aber Marie nahm ein Kleenex-Tuch aus der ledernen Box, spuckte drauf und rieb mir auf den Wangen herum. »Viel zu dick aufgetragen«, sagte sie und schrubbte energisch. »Guck mal in den Spiegel. So, nur ein Hauch, und dann schräg halten den Pinsel, von oben nach unten. Bei deinen breiten Wangenknochen …«, sie sah mich kritisch an, »ist es ratsam, du nimmst eine unauffällige Farbe. Eher pastellfarben, niemals rosa. Dieses hier ist wahrscheinlich gut für dich. Ich schenke es dir, und den Pinsel auch.«
Marie arbeitete noch eine ganze Weile an meinem Gesicht herum, wischte, putzte, malte, radierte aus, zupfte und tupfte. Ich starrte die ganze Zeit auf ihren Schwanenhals und den Fürstin-von-Monaco-Busen.
Als sie fertig war, war ich ganz schwindelig von ihrem Parfüm.
»So, jetzt schau mal in den Spiegel. So sieht das schon nach was aus!« Marie hielt mir den Spiegel vor.
Ich lächelte unsicher und sagte: »Danke. Ich denke, ich kann von dir viel lernen.«
»Das kannst du bestimmt«, sagte Marie, setzte sich aufs Bett und sagte: »Jetzt muss ich aber wirklich schlafen. Geh noch ein bisschen spazieren und mach dir einen schönen Nachmittag, ja?« Ich fragte, ob ich eventuell ein bisschen üben könnte, auf dem Flügel in der Stadthalle.
»Nein«, sagte Marie. »Edwin übt.«
»Ach so, ja, dann geht es natürlich nicht«, sagte ich bedrückt.
Marie wollte schlafen und sich für das Konzert ausruhen. »Ich muss meine Stimme jetzt schonen«, sagte sie. »Geh noch ein bisschen spazieren, ja? Sie haben unten bestimmt einen Schirm für dich.«
Gestern Abend, das war echt peinlich. Der verliebte Robert saß nämlich in der ersten Reihe. Marie hatte aber inzwischen absolut keinen Bock mehr auf Robert. Vor dem Auftritt hatte sie durch den Vorhang gelugt, und als sie ihn erspähte, bekam sie Brechreiz: »Karla, schaff mir diesen Zwerg vom Hals! Ich kann nicht singen, wenn er in der ersten Reihe sitzt!«
»Was soll ich denn mit ihm machen?«, fragte ich.
»Ist mir egal, sag ihm, dass er abhauen soll!«
»Und wenn er sich von mir nicht beeindrucken lässt?«
»Karla, du bist doch ein intelligentes Mädchen. Tu bitte irgendwas. Ich ertrage diesen Anblick nicht. Wenn ich singen soll und dieser pomadige, kleinwüchsige Spießer sitzt in der ersten Reihe, muss ich mich übergeben!«
Das wollte ich nun doch verhindern. Ich trat also entschlossenen Schrittes vor den Vorhang. Die Leute klatschten Beifall, weil sie dachten, es geht jetzt los. Verlegen hüpfte ich von der Bühne und ging zu Robert, der neben sich auf dem freien Sitz einen Rosenstrauß und seinen albernen Jägerhut deponiert hatte.
»Kann ich Sie mal sprechen?«
»Ja, was gibt es?« Robert rutschte irritiert auf seinem Stuhl umher.
»Würden Sie bitte mit mir kommen?«, fragte ich schlau.
Robert sprang auf, knöpfte sich die lächerliche Trachtenjoppe zu und wollte zuerst die Blumen mitnehmen, aber dann ließ er sie doch liegen. Draußen im Flur fragte er noch mal: »Was gibt’s?«
»Ich bin im Auftrage von Frau von Otten zu
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