Karlas Umweg: Roman (German Edition)
ihren Lippen und lachten so laut, wie ich es bei ihnen noch nie erlebt hatte. Edwin saß ziemlich unbeteiligt daneben und trank wieder Jägermeister.
Eine kleine Begebenheit lohnt sich vielleicht noch, erwähnt zu werden: Robert war wieder da. Also nicht Papa, der heißt ja auch Robert, sondern der Tierquäler. Diesmal saß er weiter hinten und ich konnte ihn gar nicht sofort sehen. Marie hat ihn mit Sicherheit überhaupt nicht entdeckt, denn sie hat ihn nicht erwähnt oder mich beauftragt, ihn des Saales zu verweisen.
In der Pause, als ich mir gerade auf der Toilette die Hände wusch, stand er plötzlich vor der Klotür und rief: »Kann ich Sie mal sprechen?«
Ich ging hinaus in den Korridor, und da stand er mit einem Bündel Kleinblumen.
»Fleißiges Lieschen«, sagte er. »Die sind für Sie!«
Ich kehrte mit den Fleißigen Lieschen auf die Toilette zurück, wo ich sie unauffällig liegen ließ. Robert war genauso schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war. Und irgendwie war das symbolisch dafür, dass meine Zeit in Bad Orks unwiderruflich vorbei war. Ich gehörte hier nicht mehr her.
In meiner Kasse ist Ebbe – wollte die Eltern nicht schon wieder um Geld bitten, und die Reise hat meine letzten Ersparnisse aufgebraucht.
Kaum war ich in meinem schäbigen Doppelzimmer angekommen und hatte festgestellt, dass mein Fach im Kühlschrank in der Gemeinschaftsküche völlig leer ist, da klopfte Frau Fink, die Heimleiterin, an die Tür. »Telefon für Sie!«
Zu meinem stürmischen Herzklopfen war es Willem, Maries Ehemann. »Tag, Karla, war die Reise schön?«
»Ja!«, hauchte ich.
»Fühlen Sie sich in dem Studentenheim wohl?«, erkundigte sich Willem fürsorglich.
Ich warf der Fink einen Blick zu. Sie stand abwartend an der Bürotür und spreizte ihr Gefieder. Private Telefonate in ihrem Büro sind gänzlich unerwünscht.
»Wie meinen Sie das?«
»Marie vermisst Sie.« Ich errötete vor Glück.
»Könnten Sie sich vorstellen, zu uns zu ziehen?«, fragte Willem.
Ich schwieg in den Telefonhörer. Frau Fink beobachtete mich beim Erröten.
»Karla? Sind Sie noch dran?«
»Ja«, krächzte ich heiser.
»Wir haben oben eine Mansardenwohnung frei. Sie ist ausgestattet mit einer kleinen Küche, einem Wohnraum, einer Schlafcouch und natürlich Dusche und WC«, sagte Willem. Er sagte »WC«, wie ein Hotelprospekt, nicht etwa »Klo« oder »Scheißhaus« oder so.
»Was wären denn meine Aufgaben?«, fragte ich an. »Zum Blättern wird mich Marie doch nicht Tag und Nacht brauchen?«
»Darüber müsste man reden«, sagte Willem. »Selbstverständlich machen wir eine Art Vertrag, damit von Anfang an keine Missverständnisse auf treten.«
Ich war mir bewusst, dass er so mit jeder Kinderfrau und jedem Gärtner und jedem Vanille-Eis-Verpacker sprach.
»Ich bin eigentlich Pianistin«, sagte ich leise. Frau Fink nickte.
»Marie hat einen schönen weißen Konzertflügel«, merkte Willem an.
»Aber den dürfte ich ja wohl nicht benutzen?«
»Darüber müssten wir sprechen«, sagte Willem. »Ich denke, das wird sich bei Bedarf einrichten lassen.«
In dem Moment riss ihm Marie den Hörer aus der Hand. »Karla! Du kommst doch, ja? Ich brauche dich! Und Maximilian auch! Er mag dich!«
»Wie geht es Maximilian?«, hauchte ich.
»Wunderbar. Also, was ist jetzt? Können wir mit dir rechnen?«
»Wann soll ich denn?«
»Ich hole Sie ab«, sagte Willem. »In einer Stunde, wenn Sie es bis dahin schaffen zu packen.«
»Ich schaffe es in fünf Minuten!«
Frau Fink hackte noch mit ihrem Schnabel nach mir und zwitscherte hinter mir her, dass das aber so nicht gehe, einfach zwei Wochen vor Weihnachten und mitten im Semester ausziehen, ohne schriftliche Kündigung, sie könne doch jetzt das halbe Doppelzimmer nicht mehr auffüllen, und wer ihr denn die restlichen 375 Mark bis zum Sommersemester bezahle.
»Ich bringe sie vorbei, sobald ich sie habe«, versprach ich ihr im Wegrennen. Endlich frei.
Nun bin ich also eine Angestellte der Vanille-Eis-Fabrik. Habe den ersten Teil meines Gehaltes schon im Voraus bekommen. Willem hat ohne großes Aufhebens den Rest der Semestermiete bezahlt, er hat sogar noch auf fünfhundert auf gerundet. Frau Fink war’s zufrieden und legte den Schein stillschweigend in ein hölzernes Kästchen auf ihrem Schreibtisch. Die orthodoxe Griechin habe ich nicht mehr gesehen, nur noch ihre dicken schwarzen Haare im Waschbecken. Das machte mir den Abschied leicht. Nun hat sie ein Einzelzimmer und kann
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